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Verwandt mit dem Gedankenlautwerden ist das Doppeldenken. „Vom Doppeldenken spricht man meist da, wo dem Kranken derselbe Gedanke einmal so, wie er in der Norm vorhanden ist, und sodann auf Grund einer Gehörshalluzination als Gehörswahrnehmung, also doppelt gegeben erscheint. Am häufigsten und deutlichsten tritt dieses Doppeldenken beim Lesen und Schreiben hervor, und zwar verhält sich die „Stimme“ beim Lesen meist so, daß sie alles, was der Kranke liest, nachspricht.“[1] Damit vergleiche man die Erfahrung der Mönche, daß sie beim Lesen die Worte wie ein Echo, sogar wie ein mehrfaches Echo wiederholen hörten (c. 25). Daß die stille Wüste Gehörshalluzinationen begünstigt, ist Tatsache. Seit alters kennen die arabischen Wüstenwanderer solche Stimmen. Sie führten dieselben auf den Hâtif (Rufer), eine besondere Art der arabischen Gespenster, der Ginn zurück, die man gewöhnlich nicht sieht, deren laute Rufe bedeutungsvollen Inhalts und unbekannten Ursprungs man aber hört. Auch diese Araber wissen, freilich etwas anders als Antonius die Vorhersagungen solcher Dämonen zu erklären. Dieselben sollen nämlich den vorausgeworfenen Schatten des Ereignisses spüren.[2]

     Die visuellen Scheingebilde der vita Antonii fügen sich ganz in den Rahmen der Gesichtshalluzinationen ein. „Bei einigen erscheint bloß ein flächenhaftes Bild, anderen hingegen die körperliche Wirklichkeit, aber diese wiederum entweder ganz solid, die übrigen Gegenstände verdeckend, oder aber durchscheinend, geisterhaft… Bewegt der Halluzinant seine Augen, so folgen die Erscheinungen den Augen oder aber sie verschwinden.“[3] Im Leben des Einsiedlers sind beide Arten aufgetreten. Die wilden Tiere erkennt er gewöhnlich gleich als Scheingebilde. Einmal erscheint ihm der Teufel in Mönchsgestalt sogar mit Scheinbrot. In solchen Augenblicken hat er etwas Flächen- oder Geisterhaftes geschaut. Bei anderen Gesichten ist er im Zweifel, ob er nicht die körperliche Wirklichkeit sehe (z. B. beim Gold in der Wüste c. 12). Wenn sich aber Halluzinationen des Gesichts-, Gehör-, und Tastsinnes kombinieren, dann hat er den eintretenden Satan als solide, nicht durchscheinende körperliche Wirklichkeit gesehen. In diesen Fällen verschwindet der Satan entweder plötzlich oder allmählich. Wenn die Halluzination langsam abklingt, wird die solide Gestalt immer mehr durchscheinend und erweckt den Eindruck, als ob sie sich in Rauch auflöse. Das Untier in Pansgestalt, halb Mensch, halb Esel, stürzt in eiliger Flucht und verendet (c. 53). Ein andermal bekommt Satan das Brennen und verschwindet (c. 41), ein drittes Mal zieht er sich wie Rauch durch die Türe hinaus (c. 40). „Wenn wir also den Feind verachten wollen, so laßt uns die Gedanken ständig auf den Herrn richten und den Geist in freudiger Hoffnung erhalten. Dann werden wir die Trugbilder der bösen Geister ähnlich wie Rauch vergehen sehen“ (c. 42). Als Antonius vor den Dämonen, die in finsterer Nacht mit blendendem Lichte zu ihm kamen, die Augen schloß und betete, war sogleich das Licht der Bösewichter ausgelöscht (c. 39). – „Bei Wanderungen in der Wüste wird der Geist durch die elastische Luft ungemein angeregt; da die Umgebung aber zu monoton ist, um neue Bilder zu schaffen, werden vergangene Eindrücke lebhaft reproduziert.“[4] Die Araber kennen unter ihren Ginn nicht bloß den


  1. Störring S. 45.
  2. Wellhausen, Reste arabischen Heidentums (Skizzen und Vorarbeiten) III1 138 f.
  3. Beßmer S. 30 f.
  4. Paul Radestock, Schlaf und Traum, Leipzig 1879, S. 64.
Empfohlene Zitierweise:
Joseph Stoffels: Die Angriffe der Dämonen auf den Einsiedler Antonius. Ferdiand Schöningh, Paderborn 1910, Seite 824. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Angriffe_der_D%C3%A4monen_auf_den_Einsiedler_Antonius_824.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)