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Schutz der Arbeiterinnen.

Von grundlegender Bedeutung wurde die Arbeiterschutz-Novelle von 1891 für die Beschäftigung von Arbeiterinnen. Außer dem Schutz der jugendlichen Arbeiterinnen war nur noch der Wöchnerinnenschutz (von drei Wochen) gesetzlich festgelegt. Im übrigen fand eine unbeschränkte Ausnützung der weiblichen Arbeitskräfte statt.

In den Fabriken, in denen vor allem weibliche und jugendliche Arbeiter beschäftigt werden: Textil- und Zigarrenfabriken, Konfektionswerkstätten usw. war eine Arbeitszeit von 12, öfter sogar (z. B. in Spinnereien) von 13 und 14 Stunden die Regel. Dazu kamen dann noch die Überstunden, namentlich an den Vorabenden der Sonn- und Festtage. (Vgl. die Berichte der Fabrikinspektoren von 1885 und 1886.) Die zunehmende Verwendung elektrischer Beleuchtung leistete der Einführung auch der Nachtarbeit (Doppelschicht) wirksam Vorschub. Eine solche alltägliche Inanspruchnahme der Arbeitskräfte, dazu der Aufenthalt in den Vielfach engen, oft überheizten, schlecht ventilierten, mit Staub und gesundheitsschädlichen Dünsten erfüllten Räumen, der oft weite Weg von und zu der Fabrik, die vielfach ungenügende Ernährung usw. mußten auf die Dauer dem weiblichen Organismus verderblich werden. Dem entsprachen denn auch die traurigen Ergebnisse der Krankenkassenstatistik, die erschreckenden Zahlen der Tuberkulosenstatistik in den entsprechenden Industriezentren. Doppelt verhängnisvoll wurden diese Verhältnisse, wo auch verheiratete Frauen in größerer Zahl beschäftigt wurden. Betrug doch die Zahl der in Fabriken beschäftigten verheirateten Frauen in Deutschland 1890: 130 079. Und es war nicht Zufall, daß gerade in den Zentren der Textil- und Zigarrenindustrie wegen der Konkurrenz der weiblichen und jugendlichen Arbeiter die Löhne der Männer am niedrigsten standen und so die Familien des Mitverdienstes der Frauen und Mütter am wenigsten entbehren konnten. So konzentrierten sich denn hier gerade die Übelstände der industriellen Entwicklung zu einer physischen und sittlichen Degeneration: hohe Kindersterblichkeit, Siechtum und früher Tod der Mütter, Vernachlässigung des Hauswesens und der Kinderpflege und -Erziehung, häuslicher Unfrieden und sittliche Verwahrlosung der Jugend usw., die mit ernster Sorge für die Zukunft erfüllen mußten.

Durch die Arbeiterschutz-Novelle von 1891 wurde nun zunächst die Arbeitszeit auf höchstens elf Stunden täglich beschränkt (§ 137). Seit 1908 ist sie auf zehn Stunden herabgesetzt. Die Nachtarbeit ist verboten. Als Nachtzeit galt zunächst die Zeit von 8½ Uhr abends bis 5½ Uhr morgens, seit 1908 die Zeit von 8 Uhr abends bis 6 Uhr morgens, mit der Maßgabe, daß eine ununterbrochene Nachtruhe von mindestens elf Stunden gegeben werden muß. An den Vorabenden der Sonn- und Festtage mußte die Arbeit spätestens 5½ Uhr schließen, um so noch freie Zeit für die häuslichen Arbeiten oder zum Besuch eines Haushaltungsunterrichtes usw. zu gewinnen. Seit 1908 darf die Arbeitszeit an diesen Tagen nur acht Stunden (statt bisher zehn Stunden) betragen und sie muß um 5 Uhr schließen. Mittags muß eine mindestens einstündige Pause gewährt werden. Für Arbeiterinnen, die ein Hauswesen zu besorgen haben, erhöht sich diese Pause auf Antrag auf mindestens 1½ Stunde. Unter Tag (im Bergbau) dürfen Arbeiterinnen nicht beschäftigt werden, und (seit 1908) ist auch die Beschäftigung über Tage beschränkt. Im Interesse von Mutter und Kind ist die freie Zeit für Wöchnerinnen von drei Wochen 1891 auf sechs Wochen, 1908 auf acht Wochen erhöht.

Ausnahmen bezüglich der Arbeitszeit sind nur in sehr beschränktem Maße und nur mit ausdrücklicher Erlaubnis, sei es durch die untere Verwaltungsbehörde (für einzelne Betriebe), sei es durch den Reichskanzler oder Bundesrat, zugelassen.

Für bestimmte Fabrikationszweige, welche mit besonderen Gefahren für Gesundheit und Sittlichkeit verbunden sind, kann durch den Bundesrat die Verwendung von Arbeiterinnen verboten oder von besonderen Bedingungen abhängig gemacht werden (§ 139 a). Bei dieser Vollmacht hat der Bundesrat im wesentlichen für dieselben Betriebe, in denen die Verwendung jugendlicher Arbeiter beschränkt ist, Gebrauch gemacht.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 838. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/401&oldid=- (Version vom 20.8.2021)