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haben. Dadurch und durch weitere Einnahmen des Fracht- und Fremdenverkehrs, aus Unternehmungen im Auslande, wird schließlich die Zahlungsbilanz aktiv und in allen drei Ländern der Goldbestand jährlich größer. Auch hinsichtlich der Art, wie jedes Volk seine wirtschaftlichen Bedürfnisse befriedigt, herrscht ein starker Unterschied namentlich zwischen Deutschland und Frankreich. In Frankreich ist bei Staat, Gemeinde und Einzelwirtschaften eine viel größere Sparsamkeit üblich als in Deutschland, wo alles im großen, manchmal im größten Stil betrieben wird, und wo bei öffentlichen Korporationen und in der Einzelwirtschaft häufig genug ein volkswirtschaftlich höchst bedenklicher Luxus Platz gegriffen hat. Die Tatsache, daß allein in den Jahren 1908 und 1909 Reich, Staat und Gemeinden in Deutschland 3,3 Milliarden Schulden gemacht haben, spricht Bücher und Bände. Das Kapital, das über das dringende Bedürfnis hinaus in überflüssigen Anlagen festgelegt ist, wird dem allgemeinen wirtschaftlichen Leben entzogen und vermindert, und verteuert das zur Verfügung stehende Leihkapital.

Alles das sind Faktoren für die Gestaltung des Diskonts in einem Lande und bei der ungeheuren Bedeutung, die das Diskontgeschäft für unser Bankwesen besitzt, und auf die wir schon oben hinwiesen, möchten wir nun noch einiges über das Wesen dieses Geschäftes, wie es sich seit einigen Jahrzehnten entwickelt hat, hinzufügen. Für die deutschen Kreditbanken, die ja einen erheblichen Teil ihrer fremden Gelder kurzfristig anzulegen haben, ist ohnehin das Diskontgeschäft nicht nur zweckmäßig, sondern geboten. Die Diskontierung von Wechseln ist ein wirtschaftlich insofern besonders nützliches Kreditgeschäft, als es gerade den gewerblichen Teil der Bevölkerung unabhängiger vom Kapital macht. Der Produzent oder Kaufmann, der durch Diskontierung der Wechsel alsbald Zahlung erhält, kann sein Geschäft fortsetzen, auch ohne das entsprechende liquide Kapital zu besitzen. Aber auch das Kapital, in der Hauptsache die Bankwelt, wird durch das Diskontgeschäft begünstigt, denn durch die Kurzfristigkeit des Diskontkredits ist eine bessere Ausnützung der sonst zins- und nutzlos liegenden, auch kleinsten Geldbeträge möglich. Hiernach könnte es den Anschein haben, als ob die nationale Arbeit, Handel, Industrie, und Landwirtschaft, Interesse am niedrigen Diskont hat, als ob dagegen die Bankwelt mehr am Bestehen hoher Diskontsätze interessiert wäre. Das ist aber doch nur beschränkt der Fall; richtig ist, daß das mittlere und kleinere Geschäft in Industrie, Handel, Landwirtschaft, Gewerbe jeder Art, von einer möglichsten Stetigkeit und Gleichmäßigkeit des Diskonts Nutzen hat, denn ein häufiger jäher Wechsel stört ihnen ihre Kalkulation, während der etwa erhöhte Diskontsatz an sich ihnen keine wesentlichen Nachteile bringt. Richtig ist auch, daß die Banken durch einen hohen Diskontsatz nicht so sehr betroffen werden; ihr Verdienst ist mehr von der Differenz der Debet- und Kredit-Zinsen beeinflußt als von der Höhe des Diskonts an sich. Von diesem Standpunkt aus kann man sagen, daß die Bank von Frankreich am nachhaltigsten den mittleren und kleineren gewerblichen, industriellen und landwirtschaftlichen Betrieb im Inlande schützt, weil ihr Diskont der niedrigste und stetigste ist; sie gibt den Großkapitalien und den Kapitalisten überhaupt am wenigsten zu verdienen.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/313&oldid=- (Version vom 20.8.2021)