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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass

unsre Herkunft aus dem Judentume als Druck, als Last und Verpflichtung und wußten doch nichts vom Judentum; hatten nicht einmal einen Buchstaben Hebräisch gelernt. Wir fühlten leidenschaftlich deutsch und verstanden nicht, daß an unsrer Deutschheit auch nur der leiseste Zweifel haften könne.

Während dieser Aussprache kam uns der Gedanke, in den Tiergarten zu wandern und den Austausch im Grünen fortzusetzen.

Ich ging in den kleinen Vorflur und holte Hut und Stock. Der andere tündelte noch im Zimmer, indem er vor einem großen Spiegel sich ankleidete. Währenddessen sprachen wir durch die angelehnte Türe. Während des leidenschaftlichen Gespräches trat ich auf die Türschwelle und sehe, ins Zimmer zurückblickend, den Gefährten vor dem Spiegel stehen, wie er, ohne zu wissen, daß ich das beobachte, den Sommerhut aufprobiert und aus seiner Lockenfülle eine interessante kleine Napoleonlocke zurechtlegt. Einen Augenblick kreuzten sich die Blicke im Spiegel. Und in meinem Blick mochte wohl Verlegenheit liegen, denn ich empfand Scheu, als wenn ich einen bewunderten Mann bei etwas seiner nicht ganz Würdigem ertappt hätte. Aber in Max Hardens stählernen blauen Augen blitzte zu meinem Entsetzen: Der Feind!

Dieses war (ich weiß das heute genau) ein für meinen Lebensweg entscheidender Augenblick.

Was ich dabei dunkel fühlte, mag etwa dies gewesen sein: „Fliehe! Dies ist eine Gefahr. Hier wird zum Sport, was bluternst ist. Fliehe!“

Wir gingen durch den Tiergarten. Es wurde vieles

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Theodor Lessing: Der jüdische Selbsthass. Jüdischer Verlag, Berlin 1930, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_j%C3%BCdische_Selbstha%C3%9F.pdf/169&oldid=- (Version vom 31.7.2018)