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Den Schaden der Vernichtung des Wohlstandes der armenischen Nation trägt außer dem osmanischen Reich auch der deutsche Handel. Die Armenier hatten über 60 Prozent des Imports, 40 Prozent des Exports, wenigstens 80 Prozent des inländischen Handels und den größten Teil der Handwerke und freien Berufe in Händen. Die Arbeiter und Angestellten der deutschen Firmen in der Türkei waren größtenteils Armenier.

Gregorianer, Katholiken und Protestanten wurden gleichermaßen betroffen. Die Organisation der Kirche ist zerstört. Dem Patriarchat wurde die geistliche Versorgung der Deportierten nicht gestattet. Ueber tausend Kirchen stehen leer. Sie werden, wenn nicht zu profanen Zwecken verwendet, in Moscheen verwandelt oder dem Verfall überlassen.

Das blühende Schulwesen des armenischen Volkes, das mehr als 120 000 Volksschüler[1] zählte, ist vernichtet. Schulgebäude und Schulmittel sind konfisziert, die Lehrer vielfach getötet, die Lehrerinnen verschleppt oder verschickt.

Selbst die Familien hat man auseinandergerissen und die Männer von den Frauen, die Kinder von den Eltern getrennt.

Die politischen Folgen der Vernichtung der armenischen Nation treten jetzt schon zutage. Die russischen Armenier des Kaukasus, ca. 1½ Millionen, hatten bisher keinen Grund, sich mit Rußland zu identifizieren. Sie wünschten vielmehr die Erhaltung der Türkei, die ihrer Nation mehr Bürgschaften für den Fortbestand ihrer Kirche, Schule, Sprache und nationalen Sitte zu gewähren schien als Rußland. Durch die Verfolgung der Armenier in der Türkei wurden die russischen Armenier


  1. Die Gesamtzahl der Schüler in den türkischen Regierungsvolksschulen beträgt nach offizieller türkischer Statistik nur 242 069 Schüler und Schülerinnen.
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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/331&oldid=- (Version vom 31.7.2018)