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besetzt, die das Vertrauen der Armenier nicht besaßen. Trotz all dieser Enttäuschungen blieben die Daschnakzagan den Jungtürken treu, wie gesagt aus dem einzigen Grunde, weil sie sie für die einzig aufrichtigen Vertreter des konstitutionellen Prinzips hielten. Weder während des tripolitanischen Krieges noch während des Balkankrieges dachten sie daran, die Schwäche des Reiches für eigennützige Pläne auszunützen. So traten sie auch in den gegenwärtigen Krieg mit der Zuversicht ein, daß ihre seit sieben Jahren bewiesene Loyalität und Treue endlich ihre Früchte zeitigen würde.

Beim Ausbruch des europäischen Krieges, Ende Juli und Anfang August 1914, tagte im Theaterklub zu Erzerum mit Zustimmung des Ministers des Innern Talaat Bey ein Kongreß der Daschnakzagan. Die Möglichkeit eines russisch-türkischen Krieges mußte ins Auge gefaßt werden, und es wurde mit voller Aufrichtigkeit beschlossen, in diesem Falle strengste Loyalität gegen die osmanische Regierung einzuhalten und, gegen wen es immer sei, die Unabhängigkeit und Souveränität der Türkei mit bewaffneter Hand zu verteidigen. Die türkischen Armenier wußten, daß ihre Volksgenossen im Kaukasus gezwungen sein würden, im russischen Heere gegen die Türkei zu kämpfen. Das politische Programm der Daschnakzagan vertrat grundsätzlich den Standpunkt, daß die Zukunft des armenischen Volkstums in der Türkei besser gesichert sei, als in Rußland. Ihr Programm, das durch seine innere Logik für sich selbst spricht, beruhte auf folgendem Gedankengang:

Das armenische Volk, das in der Türkei gegen 2 Millionen, in Rußland gegen 1¾ Millionen zählt, kann weder in Rußland noch in der Türkei auf eine Autonomie rechnen. Es muß daher die Vorteile des Gleichgewichts

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/212&oldid=- (Version vom 31.7.2018)