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zwanzig Jahren kenn’ ich ihn, und noch hat er mich nicht ein einziges Mal bemogelt. Und daß man das von einem sagen kann, das ist eigentlich die Hauptsache. Das andre… ja, du lieber Himmel, wo soll es am Ende herkommen? Auf dem Sinai hat nun schon lange keiner mehr gestanden, und wenn auch, was der liebe Gott da oben gesagt hat, das schließt eigentlich auch keine großen Rätsel auf. Es ist alles sehr diesseitig geblieben; du sollst, du sollst, und noch öfter ‚du sollst nicht‘. Und klingt eigentlich alles, wie wenn ein Nürnberger Schultheiß gesprochen hätte.“

     Gleich danach kam Engelke und brachte die Mittagspost. „Engelke, du könntest mal wieder die Marie zu Lorenzen ’rüberschicken – ich ließ’ ihn bitten.“

     Lorenzen kam denn auch und rückte seinen Stuhl an des Alten Seite.

     „Das ist recht, Pastor, daß Sie gleich gekommen sind, und ich sehe wieder, wie sich alles Gute schon gleich hier unten belohnt. Sie müssen nämlich wissen, daß ich mich heute schon ganz eingehend mit Ihnen beschäftigt und Ihr Charakterbild, das ja auch schwankt wie so manch andres, nach Möglichkeit festgestellt habe. Würde mir das Sprechen wegen meines Asthmas nicht einigermaßen schwer, ich wär’ imstande, gegen mich selber in eine Art Indiskretion zu verfallen und Ihnen auszuplaudern, was ich über Sie gedacht habe. Habe ja, wie Sie wissen, ’ne natürliche Neigung zum Ausplaudern, zum Plaudern überhaupt, und Kortschädel, der sich im übrigen durch französische Vokabeln nicht auszeichnete, hat mich sogar einmal einen ‚Causeur‘ genannt. Aber freilich schon lange her, und jetzt ist es damit total vorbei. Zuletzt stirbt selbst die alte Kindermuhme in einem aus.“

     „Glaub’ ich nicht. Wenigstens Sie, Herr von Stechlin, sorgen für den Ausnahmefall.“

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Theodor Fontane: Der Stechlin. Berlin: F. Fontane, 1899, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Stechlin_(Fontane)_486.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)