Seite:Der Stechlin (Fontane) 396.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

     „Nein, Herr von Szilagy, so tief ließ mich die Gnade nicht sinken. Aber ich treibe mein Wesen über dem Strich, und wenn man so Wand an Wand wohnt, da weiß man doch einigermaßen, wie’s bei dem Nachbar aussieht. Ach, und außerdem, wie so mancher hat mir sein Herz ausgeschüttet und mir dabei seine liebe Not geklagt! Wer’s nicht leicht nimmt, der ist verloren. Roman, Erzählung, Kriminalgeschichte. Jeder, der der großen Masse genügen will, muß ein Loch zurückstecken. Und wenn er das redlich gethan hat, dann immer noch eins. Es giebt eine Normalnovelle. Etwa so: tiefverschuldeter adeliger Assessor und ‚Sommerleutnant‘ liebt Gouvernante von stupender Tugend, so stupende, daß sie, wenn geprüft, selbst auf diesem schwierigsten Gebiete bestehen würde. Plötzlich aber ist ein alter Onkel da, der den halb entgleisten Neffen an eine reiche Cousine standesgemäß zu verheiraten wünscht. Höhe der Situation! Drohendster Konflikt. Aber in diesem bedrängten Moment entsagt die Cousine nicht nur, sondern vermacht ihrer Rivalin auch ihr Gesamtvermögen. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch… Ja, Herr von Szilagy, wollen Sie damit konkurrieren?“

     Alles stimmte zu; nur Baron Planta meinte: „Dr. Pusch, pardon, aber ich glaube beinah’, Sie übertreiben. Und Sie wissen es auch.“

     Pusch lachte: „Wenn man etwas derart sagt, übertreibt man immer. Wer ängstlich abwägt, sagt gar nichts. Nur die scharfe Zeichnung, die schon die Karrikatur streift, macht eine Wirkung. Glauben Sie, daß Peter von Amiens den ersten Kreuzzug zusammen getrommelt hätte, wenn er so etwa beim Erdbeerpflücken einem Freunde mitgeteilt hätte, das Grab Christi sei vernachlässigt, und es müsse für ein Gitter gesorgt werden?!“

     „Sehr gutt, sehr gutt.“

Empfohlene Zitierweise:
Theodor Fontane: Der Stechlin. Berlin: F. Fontane, 1899, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Stechlin_(Fontane)_396.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)