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aber, während der Nacht, dem Lichte entgegenarbeiten zu müssen, führt mit Sicherheit in immer tiefere Unnatur und Ungesundheit hinein. Nur zur Nacht, wenn alles still ist, wenn alle die Lärmer und Schreier zur Ruhe gegangen, dann erwachen die Gedanken, erwachen im ruhigen Sternenlicht, unter dem bleichen Monde. Aber sie lassen uns übernächtig, bleich und erschöpft zurück. Wenn die gesunden, natürlichen Menschen erfrischt und freudig aufstehen, in den frühen, reinen, heiligen Morgenstunden, dann sind wir zu aller Arbeit in der Regel am unbrauchbarsten. Diese Stunden sind uns zu laut, zu zersplittert und unruhig. Dazu kommt, dass die Zeit nach der Mahlzeit für jeden geistig Schaffenden durchweg unergiebig, unproduktiv verläuft. Es wird also die Gewohnheit, erst gegen Abend mit der Arbeit zu beginnen, durch alle Lebensbedingungen gefördert, die für den Nervenmenschen natürlich, für den gesunden normalen Muskelmenschen direkt schädlich und unnatürlich sind. Es ist unter den Verhältnissen der modernen Grossstädte unausbleiblich, dass der geistigere, verfeinerte Mensch zu einer unhygienischen Umkehrung der Tag- und Nachtzeit gedrängt, dass er immer mehr zu einem Abendmenschen gemacht wird. Alle seine entscheidenden wichtigen Erlebnisse gehen bei künstlichem Lichte vor sich. Er ist so unnatürlich und ungesund wie das allnächtlich, im Mondlicht gespielte Theater, das die eigentliche Domäne des gegenwärtigen Menschengeschlechtes geworden ist.

Nur eines könnte vor der gänzlichen Umkehrung der Tageszeiten schützen: energische Zwangsmassregeln zur Unterdrückung des Lärmes und der Geräusche des Tages. Für die „Hausmusik“ aber, gegen deren Missbrauch bisher noch nicht der mindeste Rechtsschutz geschaffen wurde, scheint mir das zu alleroberst nötig zu sein. Man besteuere endlich das Luxusklavier, besteuere musikalische Lustbarkeiten und Vergnügungen (nicht aber etwa belehrende Vorträge und bildende Veranstaltungen); man besteuere die Geige und die viel gemissbrauchte Guitarre. Man besteuere Spieldosen, Drehorgeln und Musikautomaten und übe diese Steuer rücksichtslos in alle den Fällen, wo nicht die Notwendigkeit der Musikinstrumente zu Studienzwecken oder zu selbsttätig ausgeübtem Erwerbe nachgewiesen werden kann, sondern wo Musik zu Unterhaltung und Zeitvertreib müssig gehender begüterter Kreise getrieben wird. Keine Luxussteuer wäre so berechtigt, keine besser angebracht… Sodann aber schaffe man feste Vorschriften, unter deren Befolgung allein, Musikinstrumente in Privathäusern gehalten werden dürfen. Man schaffe sie zunächst etwa in Form von Spezifikationen zum Grobe-Unfug-Pharagraphen (360, 11, R.St.G.B.), dessen gründliche Neubearbeitung ja doch in der allernächsten Zeit unausbleiblich ist. Dieser alberne Paragraph ist vortrefflich dehnbar. Überflüssiges Klavierspiel aber ist unbedingt als gröbster Unfug zu betrachten. Man sehe endlich auch im Polizeistrafgesetzbuch strenge Strafvorschriften vor, gegen willkürliche Ruhestörung durch Musiklärm. Man setze fest,

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Theodor Lessing: Der Lärm. J. F. Bergmann, Wiesbaden 1908, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_L%C3%A4rm.pdf/71&oldid=- (Version vom 31.7.2018)