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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492

Danner durch einen Kellner oder sonstwie erfahren, daß Herr von Berg tatsächlich seit ½11 in der Weinstube gesessen und auch diese vor 12 nicht verlassen hat – daß seine Aussage also auf Wahrheit beruht.“

Hübner überlegte. „Das sagen Sie so bestimmt, Herr Doktor – sollten Sie da nicht schon eine andere Spur gefunden haben?“

„Leider nein … aber es ist ja möglich, daß die nächsten Tage uns noch Überraschungen bringen – in unserem Beruf sind wir daran gewöhnt.“ Werres sagte das so leichthin, als habe der Fall Friedrichs für ihn als aussichtslos jedes Interesse verloren.

Hübners Gesicht zeigte deutlich, wie enttäuscht er war.

„Na, dann wollen wir zu Danner gehen – kommen Sie!“ Die Herren schritten in der Richtung nach dem Blücherplatz davon.


9. Kapitel.

Der Baron von Berg war, nachdem er noch an dem Begräbnisse seines langjährigen Geschäftsfreundes teilgenommen hatte, auf seine Güter zurückgekehrt. Seine Unschuld schien völlig erwiesen, da er in der verhängnisvollen Zeit von ¼11 bis 11 ahnungslos in der Dannerschen Weinstube mit seinen Bekannten gesessen hatte. Mit der Untersuchung des Friedrichsschen Mordes war die Kriminalpolizei inzwischen nicht weit vorwärtsgekommen. Dr. Werres schien allerdings mit allem Eifer an der Arbeit zu sein, da er schon am nächsten Vormittage nach dem Mordtage bei dem Polizeipräsidenten eine Unterredung nachgesucht und auch erreicht hatte, daß er vorläufig vom Dienst dispensiert wurde, weiter auch, daß ihm zwei Kriminalbeamte zur Verfügung gestellt wurden, die er ganz nach seinem Gutdünken beschäftigen konnte. Doch ob Werres mit seinen Recherchen etwas erreicht hatte, wußte weder der Kriminalkommissar Richter noch der Bruder des Ermordeten, der Sanitätsrat Dr. Friedrichs, der sofort telegraphisch herbeigerufen war, und natürlich die Untersuchung mit allen Mitteln gefördert wissen wollte. Werres zeigte sich hinsichtlich der Affäre Friedrichs von einer solchen Verschlossenheit, daß er bereits öfters mit Richter dieserhalb zusammengeraten war. Der Kommissar argwöhnte, daß der Doktor bereits einer bestimmten Spur nachjage und, da er auf alle seine Fragen nur immer dieselbe ausweichende Antwort erhielt, kam es dann an einem Vormittage in dem Arbeitszimmer Richters zum offenen Bruch zwischen beiden. Fortan gingen sich beide geflissentlich aus dem Wege.

Das einzige, was die Kriminalpolizei festgestellt hatte, betraf den Baron von Berg. Man wußte jetzt, zu welchem Zwecke Herr von Berg die 150 000 Mark, die ihm an dem Tage nach dem Morde dann auch wirklich ausgezahlt wurden, gebrauchen wollte. Ein jüngerer Bruder des Barons, der in der Reichshauptstadt bei der Garde stand, hatte sich auf leichtsinnige Wechselschulden eingelassen und war dabei von verschiedenen Wucherern in unglaublichster Weise ausgenutzt worden. Dem Baron war es unangenehm, diese Angelegenheit durch Vermittlung Friedrichs aus der Welt schaffen zu lassen und hatte daher die finanzielle Regelung der Verhältnisse seines Bruders selbst übernehmen wollen. Das hatte Richter durch langwierige Nachfragen, die fast eine ganze Woche in Anspruch nahmen, herausbekommen. –

Heute war nun wieder ein Freitag, der 26. April. Werres saß in seinem Dienstzimmer am Schreibtisch und las eifrig in mehreren Bogen, die sauber zusammengeheftet und mit eigenartigen Strichen, Kreuzen und Punkten bedeckt waren. Für jeden andern blieben diese Aufzeichnungen, die von Werres Hand stammten, völlig unleserlich, da der vorsichtige Doktor sich seine eigene Zeichenschrift erdacht hatte und wichtige Notizen nur in dieser niederschrieb. Die Blätter enthielten die bisherigen Erfolge der Nachforschungen in der Friedrichsschen Mordsache. Da gab’s scheinbar verschiedene Unterabteilungen und Einschachtelungen. – Das Ganze sah aus, wie eine sehr genaue Disposition über ein Aufsatzthema.

Werres las und verglich, schaute öfters nachdenklich zum Fenster hinaus und schrieb bisweilen, als sei ihm ein neuer Gedanke gekommen, in die noch offenen Stellen einige Zeichen hinein. So arbeitete er eine ganze Weile, bis er schließlich den Stuhl zurückschob und aufstand. Die Hände in die Taschen vergraben ging er in dem kleinen Zimmer auf und ab. Seine Gedanken verdichteten sich schließlich zu Worten. Er hielt leise Zwiegespräche mit sich, erst nur wenige Worte, dann ganze Sätze, die er vor sich hinmurmelte. Bald verlangsamte sich sein Schritt, bald ging er hastiger auf und ab.

„Er muß es sein … er kann es nur sein …“ Dann krauste er drohend die Stirn und die Hände in den Taschen ballten sich unwillkürlich zur Faust. – Auf dem Korridor ließen sich laute Schritte vernehmen. Die Tür öffnete sich und der Kriminalschutzmann Müller, derselbe, der zuerst die Nachricht von dem Tode des Bankiers durch das Telephon vernommen hatte, trat ein.

„Guten Morgen, Herr Doktor.“

„Morgen, bringen Sie was Neues?“

„Ja und nein, Herr Doktor. Die Liste mit den Nummern der geraubten Banknoten habe ich vom Herrn Kommissar Richter bekommen, hier ist sie.“ Er reichte Werres ein großes mit hektographierten Zahlen bedrucktes Papier.

„Und haben Sie die Friseure besucht?“

„Jawohl, Herr Doktor. Eine blonde Perücke und ein blonder Vollbart sind nebst anderen Theaterrequisiten vor ungefähr 14 Tagen von dem Friseur Wedel in der Kirchenstraße an die hiesige freie dramatische Vereinigung zu einer Aufführung geliefert worden. Ob diese Aufführung schon stattgefunden hat, weiß der Friseur nicht, jedenfalls hat er die Sachen noch nicht zurückbekommen.“

(Fortsetzung folgt)
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Walther Kabel: Der Doppelgänger. In: Zeit im Bild, Jahrgang 1908, S. 59, 82–84, 106–108, 130–132, 154–156, 178–180, 202–204, 226–228, 250–252, 274–276, 298–300, 322–324, 346–348, 370–372, 394–396, 418–420, 442–444, 466–468, 490–492. Berliner Central-Verlag, Berlin 1908, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Doppelg%C3%A4nger.pdf/19&oldid=- (Version vom 31.7.2018)