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Agitation Schranken zu setzen, in welcher sie bei ihrer Tochter die besten Erfolge erzielte.

„H… wird auch ohne diese einfältigen Pedanterien einen Mann fangen,“ meinte sie, und untersagte mir bei ihrer Ungnade, ferner etwas anderes mit ihr vorzunehmen, als deutsche, französische oder englische Conversation.

H… ward unter Beihülfe ihres würdigen Musiklehrers S. zu einer widerwärtigen frühreifen Kokette herangebildet, welche schon in dem zarten Alter von 14 Jahren von lauter Kabalen und anzüglichen Redensarten strotzte, so daß ich nicht selten in Gesellschaften über ihr Verhalten tief erröthen mußte.

Unterdeß fehlte es bei uns nicht an Festivitäten und Schmausereien, wozu die Wälder und Haiden des Grafen das herrlichste Wild in allen Gattungen, seine Teiche die besten Fische und seine Gärten und Treibhäuser die feinsten Gemüse und Obstarten in Ueberfluß lieferten. Selten verging ein Tag, wo wir nicht des Nachmittags um 3 Uhr in Begleitung irgend einer Nachbarschaft von Distinction zu zwei bis drei Equipagen vierspännig (wie es bei den Polen Sitte ist) ausfuhren.

Um 5 Uhr kehrten wir in der Regel zurück, worauf man Früchte verspeiste und später musicirte und tanzte. Erst um 8 Uhr soupirte man und zwar auf folgende eigenthümliche Weise: die Bedienten deckten in einem der Gesellschaftszimmer, nicht im Speisesaale, eine Tafel, um welche sich der Graf, die Gräfin und die Eltern der anwesenden jungen Personen setzten. Die Gräfin legte vor und die Bedienten präsentirten Jedem einen Teller, eine Serviette, in welcher ein Stück Brod eingeschlagen war, nebst Messer und Gabel, worauf man sich gruppen- oder paarweise nach Belieben in den Sälen und Zimmern vertheilte.

Diese Art zu soupiren gab besonders den jungen Leuten Gelegenheit, sich ungenirt zu unterhalten und mit einander zu scherzen.

Nicht selten versammelten sich hier die zahlreichen Verwandten und Freunde auch zum Diner und noch häufiger zum Kaffee, welche Assembleen dann stets mit Ball und Souper einen heitern Schluß fanden.

Bei derartigen Gelegenheiten entfaltete die gräfliche Familie eine pompöse Gastfreiheit. Die brillant erleuchteten Räume wurden mit Allem, was Küche und Keller nur zu liefern vermochten, förmlich voll gestopft, und wie so mancher Arme und Elende hätte sich an den Resten