Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/313

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Pracht und Geschmack eingerichtet waren, während die Gastzimmer ein höchst ärmliches und schmutziges Aussehen hatten.

Die Familie war sehr reich, scheute sich aber trotzdem, das ihr gehörige, unweit K. an einem See herrlich gelegene Schloß auszumöbliren und wohnte deshalb im Landhause des Gutes, von welchem aus ich oft jenes „wüste Schloß“ im Abenddämmerschein glänzen und blitzen sah, mit dem bescheidenen Wunsche, es mein Eigenthum nennen zu dürfen.

Ende Mai, nach beendeter Session kehrte der Herr von B** zurück auf unsern Landsitz, und ich hatte das Vergnügen, in ihm einen in jeder Hinsicht vortrefflichen Mann kennen zu lernen. Er war ein angehender Fünfziger von hoher schlanker Gestalt, und seinem schönen Antlitz war der Stempel des Wohlwollens und der Humanität aufgedrückt. Seine ganze Erscheinung mußte Jedem eine gewisse Ehrfurcht einflößen, denn sowohl in seinem ganzen Wesen als auch in seiner Redeweise lag die Würde des wahrhaft Gebildeten, mit welcher er den Takt und die Höflichkeit des vollendeten Weltmannes zu verbinden wußte.

Noch heute denke ich mit Freuden der Art und Weise seiner Ansprache an mich und der wahrhaft herzgewinnenden Theilnahme, deren er mich während der ganzen Zeit seines Aufenthaltes würdigte. Aus seinem Munde floß nichts Unedles, keine der faulen Reden, worin seine Familie es zu einer traurigen Meisterschaft gebracht hatte, und hier fand ich, freilich zu seinen Ungunsten, das Sprüchwort bewährt, daß sich Extreme nicht selten berühren.

Wenn auch jeder schärfere Beobachter die geistige Kluft, die zwischen Vater und Familie stattfand, in ihrem gegenseitigen Verkehr bemerkte, so mußte man sich dennoch über die Zärtlichkeit und Liebe der Sprache mit den Seinigen, so wie über die unerschütterliche Güte und Milde gegen seine Untergebenen innig freuen; und ein solcher Mensch mußte da Dornen ernten, wo er nur Rosen säete! – Dafür war allerdings ein Jeder, der ihn nur kannte, seines Lobes voll, und es gab auf seinen Besitzungen Keinen, der ohne Trost oder Hülfe von dannen gegangen wäre, sobald er solche bei ihm suchte.

Ich glaubte die Anwesenheit des Vaters benutzen zu müssen, um mit meiner Schülerin einen letzten Versuch zu machen und begann wieder mit Unterricht in einigen Realwissenschaften. Ich hatte mich jedoch stark verrechnet, indem ich mich auf die väterliche Autorität verließ, denn der Graf war viel zu sanft, um hierin der unsinnigen mütterlichen