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meine innere Bewegung mit Mühe verbergen, welche der Gedanke hervorbrachte, erst kürzlich einem Uebel entronnen zu sein, um dem andern, vielleicht noch schlimmern entgegen zu gehen.

In Miß M.’s Gesicht und Ausdrucksweise lag wohl viel, was ihren Worten einen hohen Grad von Glaubwürdigkeit verlieh, aber doch war das Mißtrauen, was mir der so vielseitige Umgang mit Menschen eingeflößt hatte, noch nicht vollkommen überstimmt. Ich versuchte daher, sie in Widersprüche zu verwickeln, jedoch mit schlechtem Erfolge. Dagegen gestand sie mir, daß der junge Graf, ein nicht minder raffinirter Bonvivant, sie unaufhörlich mit schamlosen Anträgen verfolgt habe, denen sie, um Skandal zu vermeiden, nur durch ihren Entschluß auszuweichen im Stande sei. Hier also lag der Hase im Pfeffer!

Das waren schöne Aussichten für mich, denn wenn auch meine Jugendreize großenteils verblichen waren, so hatte mich doch die Erfahrung gelehrt, daß ich selbst vor Zudringlichkeiten dieser Art eventuell nicht sicher sein würde.

„Billigt denn der Herr vom Hause eine solche Wirthschaft?“ fragte ich sie.

„Ach, mir scheint, er ist der Reformversuche überdrüssig, denn er flieht seine Familie leider, wo er nur kann,“ versetzte sie bereits etwas schlaftrunken.

Ich brach hiermit unser Gespräch ab, konnte aber trotz meiner großen Müdigkeit keinen Schlaf finden, denn außer den Zukunftsgedanken peinigten mich noch zum Ueberflusse die gewöhnlichen Bewohner eines echt polnischen Bettes.

Reinlichkeit war dieser Familie überhaupt, trotz ihrer vornehmen Abkunft, gänzlich fremd. Die Zimmer wurden wochenlang nicht von Schmutz und Staub gereinigt, während die Damen ihre Leibwäsche erst dann wechselten, wenn es Jedem ein Greuel sein mußte, dieselbe anzugreifen. Denjenigen aber, der kurz vorher erst die Sauberkeit der vornehmeren englischen Zirkel gewöhnt war, mußte diese Kehrseite doppelt und dreifach mit Ekel und Abscheu erfüllen.

Was mir Miß M. bezüglich meiner Beschäftigungsweise gesagt hatte, bestätigte sich vollkommen. Ich hatte nichts zu thun, als die Damen zu unterhalten, öffentliche Vergnügungen zu frequentiren und Besuche in ihrer Gesellschaft abzustatten, wurde jedoch stets und überall mit der größten Achtung und Zuvorkommenheit behandelt.