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welche fast unzertrennlich von den Kindern Israels scheinen, ließen mir keinen Zweifel mehr übrig, daß sie selbst den letzteren angehöre, und ich glaubte jetzt einen passenden Zeitpunkt gefunden zu haben, um ihr dieses Geheimniß wohl oder übel zu entlocken.

„Bravo! rief ich aus, „jetzt werden Sie protestantisch, in der Türkei werden Sie muhamedanisch, und in Indien werden Sie buddhistisch, wenn nur Ihr Herz jüdisch bleibt!“ – Ich hatte gewonnen. Madame V. sah sich verrathen; sie antwortete mit Nichts, sondern sandte mir nur einen Blick voll giftigen Hasses zu. Auch verfuhr sie von diesem Augenblicke an bei Weitem mißtrauischer gegen mich als früher.

Eines Tages erzählte mir Madame V. mit freudiger Stimmung, sie habe gute Aussicht, die Erzieherin der Tochter einer ältlichen Dame zu werden, jedoch habe sie letztere auf die ihr bevorstehenden Schwierigkeiten aufmerksam gemacht, indem Miß Mary einen etwas unlenksamen Charakter besitze. Ich wünschte Madame V. Glück zu dieser Aquisition, nicht ahnend, daß sich unsere Interessen schon so schnell kreuzen würden; denn nächsten Vormittag erhielt ich einen Brief von einer gewissen Frau Th…, Brook-Street, mit der Bitte, mich bei ihr einzufinden, sie suche eine Gouvernante für ihre Tochter. Und dies war derselbe Name, sowie dieselbe Adresse, welche mir Tags vorher Madame V. als ihren Hoffnungsstern angeführt hatte! Noch heute kann ich mich eines unangenehmen Gefühls nicht erwehren, wenn ich daran denke, daß ich jener Aufforderung Folge leistete, ohne Madame V. vorher davon in Kenntniß gesetzt zu haben, besonders da mir Frau Th… die fragliche Stelle anvertraute.

Ich begab mich also nach Brook-Street und fand in Frau Th. eine bereits ergraute Dame mit eiserner Moral, wie ich es aus einer ziemlich langen Ansprache entnehmen durfte, worin sie unter anderen auch die Eigenschaften einer Erzieherin mit aller nur denkbaren Schärfe und Strenge zu entwickeln sich bestrebte. Eine Anfängerin meines Standes hätte sich vor dieser Erscheinung wahrscheinlich entsetzt, mir war aber dies kein neues Vorkommniß, und ich wurde mit der Versicherung entlassen, daß, sobald die einzuziehenden Erkundigungen über mich befriedigend ausfielen, meinem Engagement Nichts im Wege stehen würde.

Letzteres erfolgte in wenig Tagen, und ich konnte die mir noch