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für immer den Rücken zu kehren, ehe ich bei einem englischen Gerichtshofe die Sache anhängig machte.

Mein nächstes Reiseziel war die Metropole London, woselbst ich so lange mich aufzuhalten gedachte, bis meine Werthpapiere einen günstigeren Cours erreicht haben würden, und ich schmeichelte mir zugleich mit der Hoffnung, vielleicht bis dahin eine Stelle begleiten zu können; vor allen Dingen aber beeilte ich mich, die persönliche Bekanntschaft jener geheimnißvollen Madame V. zu machen, deren Einladung wohl kaum in einen passenderen Zeitmoment fallen konnte.

Madame V. bewohnte ein elegantes Logis in der Nähe der gigantischen Regent-Street, und ich fand in ihr eine große, starke Matrone, auf deren Gesichtszügen noch deutlich die Spuren einer orientalischen, wenn auch schon längst verblichenen Schönheit verzeichnet waren. Sie sprach viel über D… und den …schen Hof, sie sprach viel von dem Reichthum ihrer Eltern, mit welchen sie daselbst gelebt, und erwähnte schließlich, daß sie sich auch dort mit einem polnischen Grafen vermählt habe.

Während ich ihr nun aufmerksam zuhörte und das Spiel ihrer Mienen verfolgte, dämmerten aus längst vergangenen Zeiten unwillkürlich Erinnerungen in meiner Seele empor, welche gleichsam dem Tone ihrer Stimme, sowie ihrem etwas charakteristischen Sprachorgan ihren Ursprung verdankten. – Ich habe nur meine Kinderjahre in D… zugebracht, und keinen andern Gesellschaftskreis von Bedeutung als den des Fürsten G. kennen gelernt, nichtsdestoweniger ward es mir immer klarer, daß ich diese Dame als eine Persönlichkeit, deren damalige Stellung mir im Augenblicke nicht einfiel, in jenen Zirkeln gehört und gesehen hatte. – Da mich mein seltenes Gedächtniß, Personen besonders aus ihrem Sprachorgan wiederzuerkennen, fast noch nie getäuscht hatte, so erfaßte mich ein doppeltes Interesse für meine neue Bekanntschaft, und ich beschloß, durch fortgesetzte Besuche ihr Vertrauen zu gewinnen, und ihre Identität zu ermitteln.

Madame V. besaß die Gabe einer eleganten Conversation im hohen Grade, und sie verstand es meisterhaft, ihren Zuhörer durch pikante Erzählungen ihrer Reisen durch Europa, ihrer Bekanntschaften mit verschiedenen Höfen und Celebritäten gegenwärtiger wie vergangener Zeiten, denen sie ein geheimnißvolles Decorum zu geben wußte, zu fesseln. Besonders rührend und anziehend waren ihre Episoden aus der polnischen