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die Kinder vor mir hergingen, erzählte er mir, daß Herr M. sein ganzes Glück ihm verdanke, daß er ihm die reiche Miß N., nachdem er selbst ihr Liebhaber gewesen, zur Frau verschafft und dabei die Bedingung eingegangen sei, sein großes Vermögen dem kleinen John, der sein Sohn sei, zu hinterlassen, selbst aber niemals zu heirathen. Jetzt begriff ich die große Aehnlichkeit zwischen D. und dem Knaben, die besonders im Munde und den großen Vorderzähnen lag. D. ließ sich auch verlauten, daß Frau M.’s Vater sein unermeßliches Vermögen durch Freibeuterei und Sklavenhandel gewonnen habe. Diese Mittheilungen bewiesen einen eben so hohen Grad von Falschheit wie Dummheit von Seiten des Erzählers, und können als ein Beispiel von der Freundschaft der Lasterhaften dienen.

Je länger ich die Kinder beobachtete, je mehr überzeugte ich mich, daß auch sie im hohen Grade überspannt und ausgeartet waren; meine Verwunderung sollte aber noch steigen, als ich entdeckte, daß John und Jessy in demselben Bette schliefen. Meine Bemerkungen darüber wurden von der Mutter sehr ungnädig aufgenommen.

Eines Tages kam Lord N. mit seinem fünfjährigen Sohne zum Besuche, Frau M. unternahm es sogleich, den Knaben zu malen und das Bildniß dem Vater, der als Gesandter nach Neapel ging, als Andenken zu überreichen. Dieses Kunstwerk war in Pastell gemalt, aber in dem Grade verunglückt, daß Lord N. es nicht einmal abholen ließ. Der Knabe zeichnete sich durch Naivetät aus; als er eines Tages mit den Kindern Thee trank, sagte er, ihre Allüren beobachtend, plötzlich ganz laut: „what a crached set you are all of you“ – was für eine verrückte Gesellschaft Ihr alle miteinander seid! – Den kleinen M.’s imponirte das aus dem Stegreif gegriffene Urtheil dieses winzigen Censors so sehr, daß sie ganz schweigsam wurden.

Lord N. war ein schöner junger Mann, dem die kalte Ruhe und der sarkastische Ausdruck seines Mundes vortrefflich stand. Eine Freude war es, ihn der gefallsüchtigen Matrone gegenüber zu beobachten, denn die erotischen Schwänke der Dame waren allzu derb. Nachdem sie die Hoffnung aufgegeben, bei dem schönen Aristokraten als Spanierin zu reüssiren, erschien sie eines Tages in schwefelgelbem Damastkleide, dessen tiefer Ausschnitt einen bezaubernden Fernblick auf einen kostbaren Busen und Rücken eröffnete, während ein großer Küpenhut von Spitzen das Lockenköpfchen der neuen Aphrodite neidisch bedeckte. Als man zu