Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/133

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

„Wenn Sie glauben, erwiederte ich, daß es keinen andern Ausweg giebt.“ Jedoch war ich fest entschlossen, niemals auf diesen Vorschlag einzugehen. Miß Ch. machte nun ihre Bedingungen, wozu v. T. sich gern verstand, obgleich sie enorm waren; und nun ward sie unerschöpflich in Lobeserhebungen über seine Zärtlichkeit und Großmuth, und Niemand war glücklicher und launiger als sie. Wie groß auch mein Abscheu über diese Nichtswürdigkeit war, so war ich doch schon Diplomat genug, um mein Gefühl zu beherrschen, denn ich erinnerte mich einer Lieblingsmaxime Talleyrands: Un bon diplomat doit ètre à même de recevoir un soufflet sur le derrière sans que sa figure s’enresente. Am folgenden Tage ging ich zu einer Agentin und erhielt sogleich die Adresse einer Lady Maria W., wohnhaft in den Springgärten zu London, welche eine deutsche Erzieherin suchte, und die Agentin rieth mir, sogleich sie aufzusuchen. Es bedurfte dessen nicht, so sehr mir daran lag, placirt zu sein, denn ich fand zu meinem Bedauern, daß die Dame Besuch hatte, weshalb sie mich nicht annehmen konnte, sondern mich auf den nächsten Morgen bestellte. Ich war noch nicht lange wieder zu Hause, als v. T. kam; er hatte das Bedürfniß gefühlt, mich unter vier Augen zu sprechen, das war die Ursache seines frühen Erscheinens. Weil ich fürchtete, daß es zwischen ihm und Miß Ch. zu Streitigkeiten kommen möchte, wenn ich ihm ihre Zumuthungen entdeckte, so schwieg ich gänzlich davon, und das Zartgefühl verhinderte mich gleichfalls, ihre freiwilligen Mittheilungen zu erwähnen; ich fühlte mich jedoch verpflichtet, ihm zu sagen, daß es nie meine Absicht gewesen sei, auf seine Kosten zu leben, ja daß ich mich schon um ein Unterkommen bemüht hätte. v. T. versicherte mich, daß er mich nicht einen Augenblick einer andern Gesinnung fähig gehalten habe.

Unser gegenseitiges Vertrauen wuchs von Tage zu Tage, so daß er nichts ohne mich that, mir jeden Gedanken und Plan mittheilte und gleichsam nur mit meinen Augen sah. Zugleich erschöpfte er sich in den zartesten Aufmerksamkeiten, ja es verging kein Tag, wo er mir nicht einen Beweis seiner Liebe gab. Dabei waren seine Liebkosungen nie andere als väterliche, und gerade dies war es, was meinem Herzen wohl that und ihn mir unendlich theuer machte. Nur derjenige, welcher Jahre lang in der Fremde unter fremden, liebeleeren Menschen gelebt hat, vermag zu verstehen, mit welcher Innigkeit das Herz sich dem