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sich selbst wirken konnte, ließen sie ihn wirken und waren entfernt, seinen reinen Stral durch ihr Prisma in ein unkräftiges Farbenspiel aufzulösen. Wenn Kleist z. B. seine Aria vorführt: so thut er zu ihrem edelen Worte kein Wort hinzu:

– Mit heiterm Angesicht
gab sie den Dolch dem Mann und sprach: „es schmerzet nicht.“

denn was ließe sich hinter diesem Wort der Aria sagen? Wenn Gleim seine Niobe als ein Vorbild hoher Mäßigung aufführt, leitet er zwar durch eine edle Anwendung ein, schließt aber ganz einfach:

– Sieh ihre stillen Leiden,
sie duldet, aber weinet nicht.

So jenes Kästnersche Senngedicht auf Gustav Adolph:

Und thränend rächete den Märterer der Sieg. Für mich haben gerade diese Gedichte, die nichts als Exposition sind, in ihrer ungeschminkten Schönheit die größesten Reize.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_124.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)