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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

ich Ihnen gestern gab, machte es mir zur Gewißheit. Die Anfangslettern seines Namens sind dort eingezeichnet.“

„Und geben Sie mir Vollmacht, für Sie zu handeln? darf ich alles, was Sie mir sagten, selbst vor Gericht angeben?“

„Ich habe keine Wahl, alles! Aber nicht wahr, Doktor, Sie gehen zu Boloni und sagen ihm, was ich Ihnen sagte? Er wird Ihnen glauben; er kannte ja auch Seraphine.“

„Und darf ich nicht auch wissen“, fuhr der Medizinalrat fort, „wie der Gesandte hieß, in dessen Haus Sie sich verbargen?“

„Warum nicht? Es war ein Baron Martenow.“

„Wie?“ rief Lange in freudiger Bewegung, „der Baron Martenow? Ist er nicht in …schen Diensten?“

„Ja, kennen Sie ihn? Er war Gesandter des …schen Hofes in Paris und nachher in Petersburg.“

„O, dann ist es gut, sehr gut“, sagte der Medizinalrat und rieb sich freudig die Hände. „Ich kenne ihn, er ist seit gestern hier; er hat mich rufen lassen; er wohnt ihm Hôtel de Portugal.“

Eine Träne blinkte in dem Auge der Sängerin, und von frommen Empfindungen schien ihr Herz bewegt. „So mußte ein Mann“, sagte sie, „den ich viele hundert Meilen entfernt glaubte, hieher kommen, um die Wahrheit meiner Erzählung zu bekräftigen! Gehen Sie zu ihm; ach, daß auch Carlo zuhören könnte, wenn er Ihnen versichert, daß ich die Wahrheit sprach!“

„Er soll es, er soll mit mir, ich will es schon machen. Adieu, gutes Kind; sein Sie recht ruhig, es muß Ihnen noch gut gehen auf Erden, und nehmen Sie die Mixtur recht fleißig, alle Stunden zwei Löffel voll!“ So sprach der Doktor und ging. Die Sängerin aber dankte ihm durch ihre freundlichen Blicke. Sie war ruhiger und heiter; es war, als habe sie eine große Last mit ihrem Geheimnis hinweggewälzt; sie sah vertrauungsvoller in die Zukunft, denn ein gütiges Geschick schien sich des armen Mädchens zu erbarmen.


Der Baron Martenow, dem Lange früher einmal einen wichtigen Dienst zu leisten Gelegenheit gehabt hatte, nahm ihn freundlich auf und gab ihm über die Sängerin Bianetti die genügendsten Aufschlüsse. Er bestätigte nicht nur beinahe wörtlich [359] ihre Erzählung, sondern er brach auch in die lautesten Lobeserhebungen ihres Charakters aus; ja, er versprach, wohin er in dieser Stadt kommen würde, überall zu ihren gunsten zu sprechen und die Gerüchte zu widerlegen, die über sie im Umlauf waren. Er hat auch Wort gehalten, denn hauptsächlich seinem Ansehen und der edelmütigen Art, womit er sich der Italienerin annahm, schrieben es ihre Freunde zu, daß die Gesinnungen des Publikums über sie in wenigen Tagen wie durch einen Zauberschlag sich änderten. Der Medizinalrat Lange aber stieg an jenem Tage, als er vom Gesandten kam, aus der Beletage des Hôtel de Portugal noch einige Treppen höher, in die Mansarden; in Nr. 54 sollte der Kapellmeister wohnen. Er stand vor der Türe still, um Atem zu schöpfen, denn die steilen Treppen hatten ihn angegriffen. Sonderbare Töne drangen aus dieser Türe in sein Ohr. Es schien ein schwer Kranker darin zu sein, denn er vernahm ein tiefes Stöhnen und Seufzen, das aus der tiefsten Brust aufzusteigen schien. Dann klangen wieder schreckliche französische und italienische Flüche dazwischen, wie wenn Ungeduld dem Jammer Luft machen will, und ein heiseres Lachen der Verzweiflung bildete wieder den Übergang zu jenen tiefen Seufzern. Der Medizinalrat schauderte. „Habe ich doch schon neulich etwas weniges Wahnsinn an dem Maestro verspürt“, dachte er, „sollte er vollends übergeschnappt sein, oder ist er krank geworden aus Schmerz?“ Er hatte schon den Finger gekrümmt, um anzuklopfen, als sein Blick noch einmal auf die Nummer der Türe fiel; es war 53. Wie hatte er sich doch so täuschen können; fast wäre er zu einem ganz fremden Menschen eingetreten. Unwillig über sich selbst ging er eine Türe weiter; hier war 54; hier lautete es auch ganz anders. Eine tiefe, schöne Männerstimme sang ein Lied, begleitet von dem Pianoforte; der Medizinalrat trat ein; es war jener junge Mann, den er gestern bei der Sängerin gesehen.

Im Zimmer lagen Notenblätter, Guitarre, Violinen, Saiten und anderer Musikbedarf umher, und mitten unter diesen Trümmern stand der Kapellmeister in einem weiten, schwarzen Schlafrock, eine rote Mütze auf dem Kopf und eine Notenrolle in der Hand; der Doktor hat nachher gestanden, es sei ihm bei

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 358–359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_180.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)