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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

vor Unmut pochte! Welche Gedanken wollen Sie aufgespürt haben, als die unwandelbare Freundschaft für Sie, Major? Schelten Sie nicht mein Auge, weil es nicht mehr fröhlich ist; ich habe mich in mich selbst zurückgezogen, ich habe mein Vertrauen in meine Rechte gelegt, ihr Druck wird Ihnen sagen, daß ich noch immer der Alte bin.“

„Ich danke; aber wie, ich sollte mich nicht auf die Gedanken Ihres Herzens verstehen? Sie sagen, es pocht nur vor Unmut; was hat denn ein gewisses Fürstenkind getan, daß Ihr Herz so gar unmutig pocht?“

Der Graf erblaßte; er preßte des Fremden Hand fest in der seinigen: „Um Gottes willen, schweigen Sie; nie mehr eine Silbe über diesen Punkt! Ich weiß, ich verstehe, was Sie meinen, ich will sogar zugeben, daß Sie recht gesehen haben; der Teufel hat Ihre Augen gemacht, Major! Doch warum bitte ich einen Ehrenmann wie Sie, zu schweigen? Es hat noch keiner vom achten Regiment seinen Kameraden verraten.“

„Sie haben recht, und kein Wort mehr darüber; doch nur dies Eine noch; vom achten verratet keiner den Kameraden, ob aber der gute Kamerad sich selber nicht verrät?“

„Kommen Sie hier in diese Treppe“, flüsterte der Graf, denn es nahten sich mehrere Personen; „Jesus Maria, sollte außer Ihnen jemand etwas ahnen?“

„Wenn Sie Vertrauen um Vertrauen geben werden, wohlan, so will ich beichten.“

„O, foltern Sie mich nicht, Major! Ich will nachher sagen, was Sie haben wollen, nur geschwind, ob jemand außer Ihnen –“

Der Major von Larun erzählte, er sei heute in dieser Stadt angekommen, seine Depeschen seien bei dem Gesandten bald in Richtigkeit gewesen, man habe ihn in die Oper mitgenommen, und dort, wie er entzückt die Prinzessin aus der Ferne betrachtet, habe ihm die Gesandtin gesagt, daß Sophie in ein Verhältnis unter ihrem Stande verwickelt sei. „Sie traten ein in die fürstliche Loge, ein Blick überzeugte mich, daß niemand als Sie der Geliebte sein könne.“

„Und die Gesandtin?“ rief der Graf mit zitternder Stimme.

[291] „Sie hat es bestätigt. Wenn ich nicht irre, sprach sie auch von einer Oberhofmarschallin, von welcher sie die Nachricht habe.“

Der Graf schwieg, einige Minuten vor sich hinstarrend; er schien mit sich zu ringen, er blickte einige Male den Fremden scheu von der Seite an – „Major!“ sprach er endlich mit klangloser, matter Stimme; „können Sie mir hundert Napoleon[1] leihen?“

Der Major war überrascht von dieser Frage; er hatte erwartet, sein Freund werde etwas Weniges über sein Unglück jammern, wie bei dergleichen Szenen gebräuchlich, er konnte sich daher nicht gleich in diese Frage finden und sah den Grafen staunend an.

„Ich bin ein Flüchtling“, fuhr dieser fort; „ich glaubte endlich eine stille Stätte gefunden zu haben, wo ich ein klein wenig rasten könnte, da muß ich lieben – muß geliebt werden, Major, wie geliebt werden!“ Er hatte Tränen in den Augen, doch er bezwang sich und fuhr mit fester Stimme fort: „Es ist eine sonderbare Bitte, die ich hier nach so langem Wiedersehen an Sie tue, doch ich erröte nicht, zu bitten. Kamerad, gedenken Sie des letzten ruhmvollen Tages im Norden, gedenken Sie des Tages von Mosjaisk?[2]

„Ich gedenke!“ sagte der Fremde, indem sein Auge glänzte und seine Wangen sich höher färbten.

„Und gedenken Sie, wie die russische Batterie an der Redoute[3] auffuhr, wie ihre Kartätschen in unsere Reihen sausten und der Verräter Piolzky zum Rückzug blasen ließ?“

„Ha!“ fiel der Fremde mit dröhnender Stimme ein, „und wie Sie ihn herabschossen, Oberst, daß er keine Ader mehr zuckte, wie die Husaren rechts abschwenkten, wie Sie vorwärts! riefen, vorwärts Lanciers vom achten, und die Kanonen in fünf Minuten unser waren!“

„Gedenken Sie?“ flüsterte der Graf mit Wehmut; „wohlan! ich kommandiere wieder vor der Front. Es gilt einen Kameraden herauszuhauen, werdet Ihr ihn retten? En avant, Major! vorwärts, tapfrer Lancier! wirst du ihn retten, Kamerad?“


  1. Napoleon oder Napoleondor, Name der unter dem Kaiser geprägten 20-Frankenstücke in Gold.
  2. Moshajsk, russische Stadt, nach der oft fälschlich die Schlacht an der Moskwa vom 7. September 1812 genannt wird.
  3. Eine geschlossene Schanze.
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_146.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)