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Ein Lessing, ein Klopstock, ein Schiller und Jean Paul, ein Novalis[1], ein Herder waren doch wahrhaftig große Dichter, und habt ihr je gesehen, daß sie in diese schmutzigen Winkel der Sinnlichkeit herabsteigen mußten, um sich ein Publikum zu machen? Oder wie? Sollte es wirklich wahr sein, daß jene edleren Geister nur für wenige Menschen ihre hehren Worte aussprachen, daß die große Menge nur immer dem Marktschreier folgt, weil er köstliche Zoten spricht und sein Bajazzo possierliche Sprünge macht? Armseliges Männervolk, das du keinen höheren geistigen Genuß kennst, als die körperlichen Reize eines Weibes gedruckt zu lesen, zu lesen von einem Marmorbusen, von hüpfenden Schneehügeln, von schönen Hüften, von weißen Knieen, von wohlgeformten Waden und von dergleichen Schönheiten einer Venus Vulgivaga[WS 1]. Armseliges Geschlecht der Weiber, die ihr aus Clauren Bildung schöpfen wollet. Errötet ihr nicht vor Unmut, wenn ihr leset, daß man nur eurem Körper huldigt, daß man die Reize bewundert, die ihr in der raschen Bewegung eines Walzers entfaltet, daß der Wind, der mit euren Gewändern spielt, das lüsterne Auge eures Geliebten mehr entzückt als die heilige Flamme reiner Liebe, die in eurem Auge glüht, als die Götterfunken des Witzes, der Laune, welche die Liebe eurem Geiste entlockt? Verlorene Wesen, wenn es euch nicht kränkt, euer Geschlecht so tief, so unendlich tief erniedrigt zu sehen; geputzte Puppen, die ihr euren jungfräulichen Sinn schon mit den Kinderschuhen zertreten habt, leset immer von andern geputzten Puppen, bepflanzet immer eure Phantasie mit jenen Vergißmeinnichtblümchen, die am Sumpfe wachsen, ihr verdienet keine andere als sinnliche Liebe, die mit den Flitterwochen dahin ist.

Siehe da die Anmut, die Natürlichkeit, das Rührende und den hohen Reiz der Mimilismanier. Lasset uns weiter die Fortschritte betrachten, die ihr Erfinder machte. Wie das Unkraut üppig sich ausbreitet, so ging es auch mit dieser Giftpflanze in der deutschen Litteratur. Die Mimili-Manier wurde zur Mimili-Manie, wurde zur Mode; was war natürlicher, als daß Clauren [233] eine Fabrik dieses köstlichen Zeuges anlegte, und zwar nach den vier Grundgesetzen, nach jenen vier Kardinaltugenden, die wir in seiner Mimili fanden. Bei jener Klasse von Menschen, für welche er schreibt, liegt gewöhnlich an der Feinheit des Stoffes wenig; wenn nur die Farben recht grell und schreiend sind. Mochte er nun selbst diese Bemerkung gemacht haben, oder konnte er vielleicht selbst keine feineren Fäden spinnen, keine zarteren Nüancen der Farben geben, sein Stoff ist gewöhnlich so unkünstlerisch und grob als möglich angelegt; ein fadengerades Heiratsgeschichtchen, so breit und lange als möglich ausgedehnt, von tieferer Charakterzeichnung ist natürlich keine Rede; Kommerzienräte, Husarenmajors, alte Tanten, Ladenjünglinge comme il faut[WS 2] etc. Die Dame des Stückes ist und bleibt immer dasselbe Holz- und Gliederpüppchen, die nach Verhältnissen kostümiert wird, heiße sie nun Mimili oder Vally, Magdalis oder Doralice, spreche sie schweizerisch oder hochdeutsch, habe sie Geld oder keines, es bleibt dieselbe. Ist nun die Historie nach diesem geringen Maßstabe angelegt, so kommen die Ingredienzien.

Bei den Ingredienzien wird, wie billig, zuerst Rücksicht genommen auf das Frauenvolk, das die Geschichte lesen wird. Erstens, einige artige Kupfer mit schönen „Engelsköpfchen“, angethan nach der „allernagelfunkelneuesten“ Mode. Diese werden natürlich in der Fabrik immer zuvor entworfen, gemalt und gestochen und nachher der resp. Namen unten hingeschrieben. Sündigerweise benützt der gute Mann auch die Porträts schöner fürstlicher Damen, die er als Quasi-Aushängeschild vor den Titel pappt. So hat es uns in der Seele wehe gethan, daß die Großfürstin Helena von Rußland[2], eine durch hohe Geistesgaben, natürliche Anmut und Körperschönheit ausgezeichnete Dame, bei dem Tornisterlieschen (im Vergißmeinnicht 1826) gleichsam zu Gevatter stehen mußte.

Zweitens, ein noch bei weitem lockenderes Ingredienz ist die Toilette, die er trotz den ersten Modehändlerinnen zu machen versteht.


  1. Dichtername des Romantikers Friedr. von Hardenberg (1772–1801).
  2. Die Großfürstin Helene (Paulowna Charlotte Maria) von Rußland (1807–73) war eine Tochter des Herzogs Paul von Württemberg und seit 1824 mit dem Großfürsten Michael von Rußland vermählt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Göttin der Freudenmädchen, die im Gegensatz zur Venus Urania, der Himmlischen, die Neigungen und Begierden der Menschen begünstigt (vgl. Pierer’s Universal-Lexikon, Altenburg 1857, Band 1, S. 599 f.).
  2. Französisch: wie es sein soll.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 232–233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_119.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)