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mit dem einen Arm zu umfangen, mit dem andern das Amorettenköpfchen recht fest Mund auf Mund zu drücken – oh! so durfte sie ja nur das Auge aufschlagen, durfte nur jenen Blick voll jungfräulicher Hoheit auf den sündigen Menschen und seine Begierden herabblitzen lassen, so schlich man sich so duchs und geschmiegt hinter die Grenzbarrieren der Bescheidenheit zurück, als haben einen zehn Paßvisitatoren und zwanzig Gendarmen dahinter zurückgedonnerwettert. – Das ist der Zauber reiner Jungfräulichkeit. Man sage, was man will, von Verdorbenheit der Sitten und daß kein reputierliches Frauenzimmer mehr allein auch nur eine Meile weit reisen könne; an den Männern liegt es wahrhaftig nicht, sondern an jenen selbst, die ohne den Schutz- und Geleitsbrief jungfräulicher Reinheit in Blick und Mienen hinausgehen. Der Graf war kein solcher Geck wie viele unserer heutigen jungen Herren, welche glauben, jedes Herz, das sie lorgnettieren[WS 1], müsse auch unwillkürlich von ihrer interessanten Erscheinung hingerissen sein. Nein, seinem scharfen Auge war es nicht entgangen, wie Ida diese saubern Herren, als sie sich mit ihrer dreisten, handgreiflichen Unverschämtheit an sie drängten, hatte ablaufen lassen; wenn auch ihm keine solche Zurechtweisung bevorstand, wenn er sich auch schmeicheln durfte, von diesem Phönix von Mädchen vor allen ausgezeichnet worden zu sein, wenn er sich auch eines höhern Wertes bewußt war, wer stand ihm dafür, daß nicht dieses Mädchen, das gewiß auf ihre Freundschaft einen hohen Wert legte, sich tief beleidigt fühlen werde, wenn er zärtlichere Gefühle äußerte, wer stand ihm dafür – zwar der Hofrat hatte es ihm zu dutzend Malen mit den fürchterlichsten Eiden geschworen, daß es nicht so sei, aber was wußte der Hofrat von den Heimlichkeiten eines tiefen Mädchenherzens, wer stand ihm dafür, daß sie nicht schon einen anderen, würdigeren lie–

Nein! er konnte den Gedanken nicht ertragen, die ganze Nacht hatte es ihn gepeinigt; die guten Betten, über welche er jeden Morgen der Frau Mondwirtin viel Schönes gesagt hatte, waren hart und schneidend wie die Latten, auf welche er sonst seine ungezogensten Ulanen geschickt hatte; die Kopfkissen – Jakobs Stein[WS 2] muß ein Eiderdunpfühl dagegen gewesen sein, denn er konnte ja [131] darauf schlafen und sogar eine Himmelsleiter träumen, die ihn in den Himmel – es peinigte ihn den ganzen Morgen und Vormittag, bis er endlich den Riesenentschluß faßte, sich Gewißheit zu verschaffen.

Noch auf der Treppe hatte er Löwenmut, er stieg die Stufen hinan, als wären es die schiefen Seiten einer feindlichen Batterie; noch solange der Papa dabei saß, flüsterte er sich zu, daß er mehr Mut besitze, als er gedacht habe; ihr Blick schien ihm heute besonders glänzend, schien ihn selbst aufzumuntern. Aber nein, es war ja nur das gewöhnliche freundschaftliche Wohlwollen; er wünschte den Papa zum Henker oder in seine Kanzlei, und doch hätte er ihn, als er ging, beim Frackzipfel nehmen und festhalten mögen. Jetzt Mut! – aber es schnürte ihm die Kehle zusammen, er konnte nicht anfangen, alles schien ihm zu gemein, zu trivial für diese Stunde –

„Warum so still und trübe, Martiniz?“ fragte Ida, als der Graf immer noch keine Worte finden konnte. „Sie sind doch wohl nicht krank?“ Wie wohl that ihm diese Teilnahme! – Das Gespräch war eingeleitet, und dennoch konnte er nicht weiter. Da fiel ihm auf einmal ein Gedanke ein – er beschloß, ihn auszuführen; er nahm noch einmal das Thema von vorhin auf und ging die Landsitze, die ihm angeboten worden waren, einzeln durch. Auf allen war Idchen bekannt, und wie unendlich hübsch stand es dem Mädchen, wenn sie so von der Landökonomie so kunterbunter plapperte, wie ihr das Schnäbelchen gewachsen war. Es war ihm, als säße er schon mit ihr abends vor der Thüre seines Schlößchens, die Kinderchen alle um ihn her im Gras, wie es auf seines Vaters Schloß gehalten wurde, und neben ihm, neben ihm Ida als züchtiges, hübsches, allerliebstes Frauchen; und wie sie dann – nein, es war zu hübsch, wenn er es sich so vorstellte, – wenn sie dann sorglich die Kinder hineinschickte – und selbst aufstand – und ihn bei der Hand nahm – und die andere Hand ihm auf die Stirne legte, – und, ja – und dann sagte: „Männchen, es macht hier unten schon etwas kalt, wollen wir nicht zu Bet–“

„Da sitze ich schon ein gutes Halbviertelstündchen“, unterbrach

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Durch die Lorgnette betrachten, scharf ansehen.
  2. Stein, auf dem Jakob schlief, als er von der Himmelsleiter träumte; siehe 1. Mose 28,10–22.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 130–131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_068.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)