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der Köder; ich wende also das Gespräch auf den Hof und endlich auch auf die Gräfin, da ist er aber so kalt und gleichgültig wie Eis. Ich frage ihn endlich, als er gar nicht anbeißen wollte, ob er die Gräfin denn nicht kenne, und da machte er ein ganz eigenes Gesicht, wie wenn man beim überzuckerten Kalmus endlich aufs Bittere kommt, und sagte: ‚Nicht anders kenne ich sie als par renommée[WS 1]‘. Das ist nun freilich bei der Frau Gräfin nicht das Beste, das man haben kann. Wenn er sie daher nur und zuerst von dieser Seite kennt, so hat der Herr Staatssekretär schlecht manövriert.“

„Weiß Gott, das hat er“, lachte der Hofrat, „ich könnte dir Dinge sagen, doch gedulde dich noch ein paar Wochen, und du siehest den Herrn Grafen als Bräutigam; eine Dame aus der Residenz ist es nicht, an die er sein Herz verlieren wird, nichts destoweniger ist es ein Landeskind unseres allergnädigsten Herrn, und zwar ein gutes, liebes, schönes –“

„Nun, nun, so arg wird der Engel auch nicht sein“, meinte der Präsident, indem er sich verabschiedete, „aber ordentlich wohl ist es mir, daß es die Gräfin nicht ist, denn ich sammelte mir so unter der Hand Nachrichten über sie, und die lauteten denn doch gar zu fatal.“

War es dem Präsidenten ordentlich wohl, so war es dem Hofrat außerordentlich selig zu Mut, als er vollends die Treppe hinanstieg, als er näher und näher an Idas Zimmer kam, als ihn das Mädchen „Wunderhold“ empfing. Er hätte mögen nur gleich mit allem, was er im Herzen und Gedächtnis hatte, herausplatzen, aber nein! Hand auf den Mund! so gings nicht; vor seinem Schicksalspuppenspiel, das er jetzt dirigierte, wäre das Mädchen bis in das Herz hinein errötet und davongelaufen. Daher ließ er seine Gedanken eine kleine Schwenkung rechts machen, um dem Mädchen mit den Plänklern der Neugierde und mit den schweren Kavalleriemassen der Rührung in die linke Flanke zu fallen und ihr Herzchen zu nehmen. Darum erzählte er ihr das Unglück des Martiniz, aus seiner eigenen Phantasie that er die rührendsten Farben hinzu, um den tiefen Jammer des Grafen zu schildern.

[111] Doch das bedurfte es ja nicht, des innigliebenden Mädchens Thränen flossen, als er noch nicht zur Hälfte fertig war. Wenn sie sich den fröhlichen, kräftigen Jüngling dachte, geliebt, geachtet von allen und plötzlich so unendlich unglücklich; ja! jetzt hatte sie den Schlüssel zu seinem ganzen Wesen, zu seinem ganzen Betragen.

Jetzt wußte sie, warum er damals, als sie ihn zuerst im Walde sah, so bitter geweint habe; jetzt ward es ihr auf einmal klar, warum er niemals wieder recht fröhlich sein könne. Er hatte seinen liebsten Freund getötet und, wie die Erzählung des alten Dieners merken ließ, unschuldig getötet; je zärter ihr eigenes Gefühl war, desto tiefer fühlte sie den Schmerz in dieser fremden und ihr dennoch so verwandten Brust.

Sie weinte lang’, und ihr alter, treuer Freund wagte es nicht, dieses Thränenopfer zu unterbrechen. Noch hatte er ihr aber nichts darüber gesagt, wie der Graf aus seinem Wahnsinn zu retten sein möchte; so schonend als möglich berührte er diese Saite, indem er nicht undeutlich zu verstehen gab, daß ihre Nähe wunderbar auf ihn zu wirken scheine. Sie sah ihn lange an, als ob sie sich besänne, ob sie auch recht verstanden habe; eine hohe Röte flog über das liebliche Gesichtchen, ein schelmisches Lächeln mitten durch die Thränen zeigte, daß sie dies selbst wohl gedacht habe; sie schien zu zögern, das auszusprechen, was sie dachte, aber endlich warf sie sich an die Brust des alten Mannes, verbarg ihr glühendes Gesichtchen und flüsterte kaum hörbar: „Wenn er durch warme Teilnahme, durch lautere, innige Freundschaft zu retten ist, so will ich ihn retten!“ Sie weinte an Berners Brust leise fort und fort, ihre Schwanenbrust hob und senkte sich, als wolle sie alle sechsunddreißig Schnürlöcher des Korsettchens zumal zersprengen.

Dem Hofrat aber kam dies mitten in seinem Schmerz höchst komisch vor. „Die weint“, dachte er, „weil sie einen schönen Mann und drei Millionen verdienen soll“; er konnte sich nicht enthalten, sie, vielleicht auch um das Mädchen wieder aufzuheitern, recht auszukichern; „ist es doch, als ob es Ihnen blutessigsauer würde, daß Sie den schönen, edlen Grafen aus seinem Wahnsinns-Fegefeuer

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Dem Ruf nach.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 110–111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_058.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)