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oder Reveille[WS 1] genannt wurde, weil die achthundert Dragoner alle Morgen mit diesem Stück aus ihrem sanften Morgenschlummer trompetet wurden. Zu dieser Reveille setzten die zwanzig Trompeter ihre Hörner, Posaunen und Trompeten an, der Stabstrompeter oder, wie er sich lieber nennen ließ, Kapellmeister winkte, und in rauschendem Geschmetter, als wollten sie den Jüngsten Tag anblasen, tönte die Reveille durch die stille Mitternacht zu dem einsamen Bettchen Idas und weckte sie aus süßen Träumen. Diese Art von Attention war ihr so ungewohnt, daß sie von Anfang glaubte, es brenne irgendwo im Städtchen, als sie aber nachher deutlich einige Walzer unterschied, so war kein Zweifel mehr, daß es eine Nachtmusik sei, die ihr gelte.

Es war kalt, sie hüllte sich fröstelnd wieder in ihre seidene Decke und dachte unter den lockenden Tönen nach, ob wohl Martiniz auf so unzarte Weise ihr eine Aufmerksamkeit erweisen wolle? Nein, der Unglückliche mußte ja der Zeit nach jetzt in der Kirche sein; und er, der sich in allem so zartfühlend, so sinnig bewies, er konnte nicht diese Trompeten zu Organen wählen, um seine Empfindungen auszudrücken; in Walzerchen und Polonäschen, in diesem rauhtönenden Deideldum und Schnirkeldum konnte Emil seine Liebe nicht ausdrücken.

Jetzt schwieg die Musik, sie hörte Stimmen auf der Straße.

Die Offiziere hatten Schulderoff in den Schein einer Straßenlaterne an eine Mauer gelehnt. Verabredeterweise fingen sie nach dem dritten Walzer an: „Herr Bruder! Schulderoff! wo steckst du denn? Ich glaube, die Liebe hat den armen Kerl ganz voll gemacht!“

„Ach Kameraden, mir ist so weh, so weh“, stammelte der begeisterte Liebhaber, dem nur noch ein Teil seiner Rolle beifiel, und zwar gerade der Teil, welchen er in seiner jetzigen Lage mit großer Wahrheit spielte, „blast, blast“, rief er dann und focht mit den Armen in der Luft, „blast, o wären das die schwedischen Hörner und ging’s von hier gerade ins Feld des Todes.“

„Wie der Herr Lieutenant befehlen“, antwortete der Stabstrompeter, „frisch auf, Nr. 62, die Galoppade!“ Und jetzt ging der Tanz von neuem los, daß alle Hunde in der Nachbarschaft [87] laut wurden und die Nachbarn sich beklagten, daß man ihre Nachtruhe störe. Ida war kein Wörtchen des Gespräches entgangen, und sie schämte sich ordentlich, dem Herrn von Schulderoff, der ihr gerade nicht von der empfehlendsten Seite bekannt war, diese Musik zu verdanken. Es schlug ein Uhr, als die Künstler abzogen, und von Idas Augen war aller Schlaf gewichen. Sie warf sich hin und her, aber es wollte ihr nicht gelingen, den mohnbekränzten Gott, den Schulderoff so unzarterweise verscheucht hatte, zurückzurufen. Sie ging noch einmal die Bilder dieses Abends und der letzten Tage durch; durfte sie auch mit Recht hoffen, daß sie ihm nicht gleichgültig –

Der Ball? es ist wahr, er hatte immer nach ihr gesehen, aber das bewies nur, daß auch sie immer nach ihm gesehen hatte; konnte ihm nicht ihr wiederholtes Hinsehen aufgefallen sein; konnte er nicht deswegen so oft nach ihr gesehen haben? – Bei dem Souper, ja, da war er hinter ihr gestanden, hatte, als sie anstießen auf Liebe und Freude, tief geseufzt, aber durfte sie dies auch auf sich beziehen? Konnte ihn, der so unglücklich schien, nicht so manches seufzen machen? – Nachher bei dem Kotillon, ja, er errötete, als sie ihn zum Tanz aufzog, aber etwa nur wegen ihr? Nicht weil sie die einzige war, die es wagte, ihn aufzuziehen? – Heute abend, als er beim Thee neben ihr gesessen, da hatte er oft sonderbare Winke ihr zugeflüstert: einmal, als man ihn fragte, was ihm an der hiesigen Gegend so anziehend sei, hatte er ihre Hand unter dem Tische gefaßt, sie gedrückt und ihr zugeflüstert: „Ich weiß wohl, darf es aber nicht sagen.“ Was konnte er damit gemeint haben? Es war wohl bloße Galanterie gegen sie, als Dame des Hauses.

Schelmchen Ida wußte es wohl, was es war, aber sie belog sich selbst, um immer wieder aufs neue zu zweifeln und zu hoffen. Sie lächelte sich selbst aus über ihren Zweifel; „nein, der Hofrat muß mir beichten“, sagte sie zu sich und klopfte auf die seidene Decke, „der muß beichten; hat er doch so geheimnisvoll gethan, als habe der Graf sein ganzes Herz gegen ihn ausgeschüttet, da will ich schon erfahren, ob er mich lie–“

Einige rasche, volle Griffe auf einer Guitarre unterbrachen ihr

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Weckruf.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 86–87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_046.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)