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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

Es dürfte nicht schwer halten, nach den Merkmalen, welche der Vernunft die Gegenwart des Schönen bezeichnen, mit überführender Klarheit darzuthun, daß Griechenland jenes beglückte Ländchen war, wo die schönsten Formen der Menschengattung einst entstehen mußten. Das milde gemäßigte Klima, die zum Handel und Verkehr mit entfernten Völkern, mithin zur Entwicklung der Kräfte und Vermehrung der Kenntnisse so bequeme Lage, die Freiheit der Verfassungen, das daraus entstehende schöne Gleichgewicht der physischen und sittlichen Kultur, der Gedankenreichthum bei der höchsten Reitzbarkeit des Gefühls; kurz, alles deutet hin auf dieses Ziel.

     Hier also vereinigten sich jene Bedingnisse, welche zur Schöpfung eines vollendeten Kunstwerks unentbehrlich sind. Der Künstler, reich an innerer Vollkommenheit und Harmonie, fand um sich her Gestalten, die seinem Sinne für das Schöne entsprachen, und durch ihre Nachbildung konnte er anschaulich machen, wie er das Schöne empfände. Nun blieb er nicht mehr knechtisch bei der einzelnen Form; von mühsamer Nachahmung schwang er sich empor zur edlen Freiheit der Wahl; das Schönste erkohr er unter dem Schönen. So stellte Zeuxis die Töchter von Agrigentum in blendender Schönheit vor sich hin, um aus ihren verschmelzten Reitzen für den Tempel der Juno Lucinia sein bewundertes Gemählde zu entwerfen. Denn ohne leisen Mißton ist keine, selbst nicht die lieblichste Form, in der Natur; vielleicht,

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft9_097.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)