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erregte Aussprache. ‚Das kommt davon, wenn Frauen sich in Dinge mischen, die sie nichts angehen,‘ sagte der Onkel, als ich Ihre Stellung zum seligen Volksschulgesetzentwurf und zur Arbeitslosenbewegung verteidigt und als die meinige bezeichnet hatte. Wir seien nichts anderes als Helfershelfer der Sozialdemokratie, erklärte er mit der Hellsichtigkeit des Hasses. Und nun war es mir nicht nur höchst interessant, ihn seinen eigenen Standpunkt auseinandersetzen zu hören, sondern – lachen Sie mich bitte nicht aus! – zum erstenmal, seit ich ihn kenne, fing ich an, ihn ernst zu nehmen und zu begreifen. Wer, auch ohne den Dogmenglauben zu besitzen, gesättigt von dem ganzen Pessimismus des Christentums, alle Menschen für Sünder und die Welt für ein Jammertal, bestenfalls für eine fegefeuerähnliche Durchgangsstation hält, daneben aber sich der ungeheuern Vorteile alter Kultur und angestammter Herrenrechte voll bewußt ist, der kann den Sozialismus und alle seine Begleiterscheinungen nur für das Ende aller Dinge halten, gegen das er sich naturgemäß wehren muß. Offen gestanden, sind mir solch ehrliche Junker hundertmal lieber als die Richter und Konsorten, die wir ja eben zur Genüge kennen gelernt haben. Übrigens nahm ich die Gelegenheit wahr, um Onkel auf seinen Monarchismus hin festzunageln, ‚der mir angesichts der Haltung seiner Partei gegenüber den Handelsverträgen einigermaßen fadenscheinig vorkäme.‘ – ‚Unser Monarchismus besteht nicht in hündischer Treue gegenüber dem einzelnen Monarchen,‘ antwortete er, ‚sondern in der Hochhaltung und Verteidigung alles dessen, was die Monarchie stützt und kräftigt, – auch gegen den Monarchen, wenn es

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/544&oldid=- (Version vom 31.7.2018)