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„Wenn Sie nur nicht doch noch recht blutige Arbeit bekommen!“ meinte Syburg. „Eine Rotte Betrunkener, – und das Unglück ist geschehen.“

Anna sollte Recht behalten: trotz der blumengeschmückten Tafel, der feurigen Weine und der launigen Toaste auf den Hausherrn und das Geburtstagskind wollte die echte Feststimmung nicht aufkommen. Alles war voll von den Ereignissen, und jeder wußte andere Details zu erzählen. Der Ortspfarrer war eben von Castrop zurückgekehrt. Er hatte die Streikenden der Zechen Erin und Schwerin gesehen und gesprochen. „Ihr Verhalten ist ein so würdiges,“ sagte er, „daß die Aufregung der Zechenbeamten dem gegenüber einen peinlichen Eindruck macht.“

„Dasselbe habe ich eben vom Oberpräsidenten gehört, den ich in Witten traf,“ meinte Graf Recke. „Er kam aus Gelsenkirchen wo er mit den Arbeitern der Hibernia verhandelt hat. Ihre Forderungen halten sich zunächst in durchaus diskutabeln Grenzen, und wenn die Presse wegen der Achtstundenschicht Zetermordio schreit, so weiß sie eben nicht, was uns alten Westfalen von Jugend an bekannt ist: daß nach unseren Bergordnungen vom 17. Jahrhundert an die Schicht schlechthin achtstündig war und erst das gesegnete 19. Jahrhundert, wie mit so vielen guten alten Bestimmungen, auch damit aufräumte. Die Knappschaften verlangen nichts anderes als das Recht ihrer Väter.“

Baron Bodenberg bestätigte Reckes Behauptung.

„Und mit ihren übrigen Wünschen steht es im Grunde nicht anders,“ fügte er hinzu, „in meiner Jugend hatten die Grubenbesitzer den Knappen gegenüber keine freie

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/396&oldid=- (Version vom 31.7.2018)