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richtig lag, dachte ich stumpfsinnig, und etwas wie Neugierde nach dem Spruch, den der Pfarrer mir geben würde, regte sich in mir.

„Darinnen freuet euch nicht, daß euch die Geister untertan sind, sondern daß eure Namen geschrieben sind im Himmel.“

Das fuhr wie ein Peitschenhieb auf mich nieder. Mein Name – und im Himmel geschrieben!! Hatte ich nicht eben vor Gottes Altar einen Meineid geschworen?! – –

Unter Tränen und Glückwünschen und Schmeichelworten umdrängte mich alles. Zu Hause empfing mich ein Aufbau von kostbaren Geschenken, von duftenden Blumen; Militärmusik spielte unter den Fenstern, und um die geschmückte Tafel versammelte sich eine glänzende Gesellschaft. Mir galten die Reden und Toaste, und immer aufs neue perlte der Sekt in meinem Glase. In halber Betäubung kam ich abends in mein Zimmer; die rote Ampel brannte über dem Bett; seltsam bedrückend war nach all den wirren Geräuschen des Tages die Stille. Mein Blick fiel auf ein kleines Paket, durch dessen Schnüre ein paar gelbe Rosen gezogen waren. Verwundert öffnete ich das Geschenk, das nicht auf dem Tisch der allgemeinen Gaben gelegen hatte. Es enthielt ein schmales Buch in blauem Einband – „Deutsche Liebe“ von Max Müller, und einen Brief:

 „Gnädiges Fräulein!

Da ich gezwungen bin, schon morgen Posen zu verlassen, und vor Ihrer Abreise nicht zurück sein kann, gestatten Sie mir, Ihnen schriftlich Lebewohl zu sagen

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/145&oldid=- (Version vom 31.7.2018)