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es zu thun, und man weiss, dass Diess zuweilen vorkommt, wie ich selbst einmal an einem Dachshund beobachtete; das «Stehen« ist wohl, wie Manche gedacht haben, nur eine verstärkte Pause eines Thieres, das sich in Bereitschaft setzt, auf seine Beute einzuspringen. Hatte sich ein erster Anfang des Stehens einmal gezeigt, so mögen methodische Züchtung und die erbliche Wirkung zwangsweiser Abrichtung in jeder nachfolgenden Generation das Werk bald vollendet haben; und unbewusste Züchtung ist immer in Thätigkeit, da jedermann, wenn auch ohne die Absicht eine verbesserte Rasse zu bilden, sich gerne die Hunde verschafft, welche am besten vorstehen und jagen. Anderseits hat auch Gewohnheit in einigen Fällen genügt. Kein Thier ist schwerer zu zähmen als das Junge des wilden Kaninchens, und kein Thier zahmer als das Junge des zahmen Kaninchens; und doch glaube ich nicht, dass die Haus-Kaninchen jemals auf Zahmheit gezüchtet worden sind, sondern vermuthe vielmehr, dass wir die gesammte erbliche Veränderung von äusserster Wildheit bis zur äussersten Zahmheit einzig der Gewohnheit und lange fortgesetzten engen Gefangenschaft zuzuschreiben haben.

     Natürliche Instinkte gehen in der Gefangenschaft verloren; ein merkwürdiges Beispiel davon sieht man bei denjenigen Geflügel-Rassen, welche selten oder nie «brütig« werden[1], d. h. nie auf ihren Eiern zu sitzen verlangen. Die tägliche Gewöhnung daran allein verhindert uns zu sehen, in wie hohem Grade und wie allgemein die geistigen Fähigkeiten unsrer Hausthiere durch Zähmung verändert worden sind. Man kann kaum daran zweifeln, dass die Liebe des Menschen als Instinkt auf den Hund übergegangen ist. Alle Wölfe, Füchse, Schakals und Katzen-Arten sind, wenn man sie gezähmt hält, sehr begierig Geflügel, Schaafe und Schweine anzugreifen, und dieselbe Neigung hat sich unheilbar auch bei solchen Hunden gezeigt, welche man jung aus Gegenden zu uns gebracht hat, wo wie im Feuerlande und in Australien die Wilden jene Hausthiere nicht halten. Und wie selten ist es auf der andern Seite nöthig, unsren zivilisirten Hunden, selbst wenn sie noch


  1. „Brütig“ für broody; das Wort ist im Deutschen nicht üblich; doch gibt es in Nord-Deutschland dafür einen Provinzialismus „heckisch".      D. Übs.
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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_225.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)