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man alle Tage hören, wenn sie aus dem Thore ziehen und ihre Abschiedslieder an die Schätze singen, die klingen oft gar betrübt. Der Stiefelwichser wußte das nicht minder, als seine Kameraden und verliebte sich in niemand Geringeres, als in die Königstochter. Mit seinem Lieben allein war ihm aber nicht gedient, die Prinzessin sollte ihn auch wieder lieben und das schien sie nicht zu wollen, denn wenn er meinte, das Herz müsse ihm vor lauter Liebe brechen und oft ein recht betrübtes Gesicht machte, dann frug sie noch nicht einmal: „Was fehlt dir Hinkelbrühe?“ Das trug er eine Zeitlang, aber endlich wurde es ihm zu arg und er sprach zu sich selbst: „Was ich mit Güte nicht erlangen kann, das will ich schon mit List und Gewalt bekommen.“

Eines Tages sah er in der Küche, wie die Köchin vom Schlosse Hinkel schlachtete und sie in den Kessel warf, um für die Prinzessin Suppe davon zu kochen. „Merkst du, Hinkelbrüh? Sie will dich haben,“ sprach er zu sich selbst, und als es gegen Abend ging, da war sein Plan schon gemacht. Er ging zum Kutscher und sprach: „Du, die Prinzessin hat mir befohlen, ihre Kammerjungfer um zwölf Uhr über die Grenze zu schaffen, denn die ist plötzlich narrig geworden, und du sollst uns fahren.“ Dasselbe sagte er später auch den andern Bedienten, welche ihn darüber verspotteten und sprachen: „Ein Narr wird den andern wohl fortbringen.“

Als es gegen zwölf Uhr ging, schlich sich mein Stiefelputzer in das Zimmer der Prinzessin, stopfte seine Taschen voll Gold und Geld, faßte dann rasch das arme Mädchen in ihren Decken und

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Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Hausmärchen. Göttingen und Leipzig 1851, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Deutsche_Hausm%C3%A4rchen_427.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)