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einen motorischen Reiz auf die randständigen Tentakeln. Die nächststehenden werden zuerst afficirt und neigen sich langsam nach der Mitte hin, dann die entfernteren, bis sie zuletzt alle über dem Gegenstand dicht zusammen gebogen sind. Dies findet in einer Stunde bis zu vier oder fünf oder noch mehr Stunden statt. Die Verschiedenheit in der hierzu erforderlichen Zeit hängt von vielen Umständen ab nämlich von der Grösze des Gegenstandes und dessen Beschaffenheit, das heiszt, ob er auflösliche Substanz der richtigen Art enthält, von der Lebenskraft und dem Alter des Blattes, ob es kürzlich in Thätigkeit gewesen ist, und der Angabe Nitschkes[1] zufolge von der Temperatur des Tages, was auch mir der Fall zu sein schien. Ein lebendes Insect ist ein wirksamerer Gegenstand als ein todtes, da es beim Sichsträuben die Drüsen vieler Fühler drückt. Ein Insect, wie z. B. eine Fliege, mit dünner Haut, durch welche die thierische Substanz in Auflösung leicht in die umgebende dicke Absonderung dringen kann, ist viel wirksamer, eine verlängerte Einbiegung zu verursachen, als ein Insect mit einer dicken Haut wie ein Käfer. Die Einbiegung der Tentakeln findet ohne Unterschied im Licht und in der Dunkelheit statt, und die Pflanze bietet keine nächtliche Bewegung eines sogenannten Pflanzenschlafes dar.

Wenn die Drüsen auf der Blattscheibe wiederholt berührt oder bestrichen werden, wenn auch kein Gegenstand auf ihnen liegen gelassen wird, so biegen sich die randständigen Tentakeln doch einwärts. Ferner, wenn Tropfen von verschiedenen Flüssigkeiten, von Speichel oder einer Auflösung von irgend einem Ammoniaksalz auf die mittelsten Drüsen gebracht werden, so tritt schnell dasselbe Resultat ein, zuweilen in weniger als einer halben Stunde.

Die Tentakeln durchlaufen einen weiten Raum im Acte der Einbiegung; so bewegt sich ein randständiger Tentakel, welcher in einer Ebene mit der Blattscheibe ausgestreckt war, durch einen Winkel von 180°; und ich habe die stark zurückgebognen Tentakeln eines Blattes, welches aufrecht stand, sich durch einen Winkel von nicht weniger als 270° bewegen sehen. Der sich biegende Theil ist beinahe gänz­lich auf einen kurzen Raum in der Nähe der Basis beschränkt; aber eine im Ganzen gröszere Partie der verlängerten äuszeren Tentakeln wird unbedeutend gebogen; die der Spitze nähere Hälfte bleibt in allen Fällen gerade. Die kurzen Tentakeln in der Mitte der Scheibe werden,


  1. Botan. Zeitung, 1860, p. 216.


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Charles Darwin: Insectenfressende Pflanzen. Stuttgart 1876, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Darwin_Insectenfressende_Pflanzen_008.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)