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Die Gründung von Constantinopel und insbesondere die Wahl des Ortes für die neue Residenzstadt hat bereits in Byzantinischer Zeit zu Sagen Veranlassung gegeben[1] und auch im Altrussischen findet sich hierüber eine Sage, die gewöhnlich einem in alter Zeit sehr beliebten Bericht über die Einnahme Constantinopels durch die Türken als Einleitung diente[2]. In die Baugeschichte Constantinopels hat sich soviel Märchenhaftes eingemischt, dass man selten mit Sicherheit nachweisen kann, was Constantinisch ist und was nicht[3]. Die Deutsche Erzählung von der Entführung der Tochter Constantin’s des Grossen durch König „Ruther“, den Vater Pippin’s, knüpft an die Sagen von Karl dem Grossen an[4].

Die bekannte Geschichte von dem Wunder der Kreuzeserscheinung am Himmel mit der Umschrift „τούτῳ νίκα“ hat nicht einmal den Werth einer Sage und überhaupt keinen populären Ursprung, sondern ist erst lange nach dem Zug gegen Maxentius, auf welchem Euseb und seine Nachschreiber dasselbe geschehen lassen, von diesem Schriftsteller in absichtlich unklarem Bombast aufgezeichnet worden[5]. Sehr vieles andere über die Wunderthätigkeit des Kreuzes, was kirchliche Schriftsteller berichten, wird man ebenfalls in das Reich der Fabel verweisen, so z. B. die Nachricht des Euseb, dass Constantin hauptsächlich durch frommes Gebet und Vortragung des Kreuzes den schändlichen Abgötter- und Teufelsbeschwörer Licinius überwand.

Namentlich wo es galt, den allerchristlichsten Kaiser womöglich von irgend welcher Schuld weisszuwaschen, ist die devote Geschichtschreibung gern bereit, Märchen zu erfinden und zu verbreiten. Dies sieht man z. B. aus der Art und Weise, wie Philostorgius, Chrysostomus und Gregorius von Tours die einfache Erzählung davon, dass Constantin den Mord des Crispus durch den Mord der Fausta zu sühnen unternahm, verunstaltet und verwirrt haben, indem der eine die Fausta zur gemeinen Ehebrecherin macht, der andere sie an einer von Crispus angezettelten Verschwörung Theil nehmen lässt und der

  1. Du Cange, Constantinopolis christiana p. 11 ff. 16 ff. 23 ff. 27 ff.
  2. Wesselofsky l. c. 181 f.
  3. Manso, Leben Constantin’s d.Gr. S.73.
  4. W. Grimm, Die Deutsche Heldensage, 2. Aufl., S. 52 f.
  5. Burckhardt, Die Zeit Constantin’s des Grossen, 2. Aufl., S. 351. Vgl. jetzt Seeck in DZG 7, 233.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_09_002.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2023)