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besondere Bussübungen althergebracht, der Gottesdienst wurde durch Tag und Nacht nicht ausgesetzt, Beten, Psalmgesang und Messehören in buntem Wechsel schufen eine nervöse Spannung, welche als besonders verdienstlich galt. Bald machten fromme Laien zur Regel, was die Kirche als Ausnahme gebot; sie nahmen sich in körperliche Pein durch Weigerung des Schlafes, durch Versagung aller geschlechtlichen Anwandlungen, durch Vernachlässigung der Körperpflege, durch die schmerzende Kleidung groben Haartuchs, durch Fasten, durch ununterbrochene Uebung des Gebets und des Busssanges, wohl gar durch das Gelübde des Schweigens und der äusseren Demuth.

Dabei zogen sich einzelne Fromme so völlig auf sich und die Uebungen zurück, dass sie sich nicht mehr sicher darüber fühlten, ob nicht die Dinge dieser Welt überhaupt nur Vorspiegelungen, Eingebungen des Teufels seien. Das Ende war dann Skepsis und Verzweiflung, falls Gott der dürstenden Seele nicht drastisch Auswege aus diesem Wirrniss schuf[1].

Andrerseits brachten einzelne hochbegabte Asketen es wohl zu wahrhafter geistiger Versenkung, zur Meditation über die Leiden Christi, über die Schönheit Marias, über die Vorzüge eines gottgeweihten Lebens. Doch spielte diese Meditation in den meisten Fällen mit blossen Antithesen: Christus, der Lenker der Welt, in Windeln gewickelt; der Sternthronende in der Krippe; sein Antlitz, das Cherubim nicht zu schauen wagen, besudelt; die Hände an’s Kreuz geheftet, welche die Welt schufen[2]: – und ferne war sie jedenfalls noch von der weltabscheidenden Contemplation der späteren Mystik.

Was aber die Askese zumeist und bei allen innigen, mittelbegabten Naturen wirkte, das war der Sinn der Weltflucht. In ihm trafen sich die Frommen des Landes; hier fanden sie den gemeinsamen Schwerpunkt ihrer Kraft; von hier aus wirkten sie auf das allgemeine Kirchenthum lösend, befreiend, befruchtend.


VI.

Das 9. bis 11. Jh. ist in Deutschland das Zeitalter der Klausner und Klausnerinnen[3]; nie haben fromme Einsiedel der Kirche

  1. So zeigte Gott der h. Liutbirg an jeder teuflischen Figur in posterioribus einen schwarzen Flecken; Vita Liutb. c. 29.
  2. Koepke, Hrotsuit S. 213.
  3. Die vita solitaria ist die vita altior: Arnold de S. Emmer. 2, c. 61. SS. 4, 572.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_033.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)