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Ende. Wenn der Kampf um die Anerkennung der wissenschaftlichen Grundsätze in der That keinen höhern Zweck hätte, als dass man die Zuthat der Zwiebeln zur Brühe gestatten solle, die verboten war, oder dass man jetzt die Eier am breiten und am spitzen Ende öffnen dürfe, so haben sie Recht.

Sie haben so lange Recht als sie die Meinung hegen, dass der beste Braumeister des besten Münchener Bieres der geeignetste Mann für einen zu gründenden Lehrstuhl der Bierbrauerei sei[1]. Ich für meinen Theil glaube nicht, dass ein solcher Mann von Herrn G. Sedlmayr in München zur Auseinandersetzung der wissenschaftlichen Grundsätze der Bierbereitung empfohlen werden würde, auch wenn er dessen umfassenden Betrieb mit Umsicht und Nutzen seit zwanzig Jahren geleitet hätte.



Sechsundvierzigster Brief.


Der empirische Landwirth ist ein Gewerbtreibender, welcher Fleisch und Korn erzeugt; ohne alle Nebengedanken sucht er seinen Feldern die möglichst hohen Erträge abzugewinnen, und er hält dasjenige Verfahren für das beste, welches ihm die Erträge auf die billigste Weise und in der kürzesten Zeit liefert. Warum sollte er dies nicht? Man hat dies seit Jahrhunderten so gemacht, und er macht es genau so wie er es gelernt hat. Die vor ihm haben nicht darnach gefragt was aus dem Felde wird, und welche Wirkung ihr Verfahren auf das Feld hatte – warum sollte er darnach fragen? Wenn es ihm gelingt seinen Lebensunterhalt zu gewinnen, seinen Pacht oder die Zinsen seines Capitals und ausserdem noch Vermögen zu erwerben, so ist dies für ihn der einzige bestehende Beweis, dass sein Verfahren das beste sei. Geräth Weizen, Klee, Rüben oder die Kartoffeln auf seinen Feldern nicht mehr wie sonst, so probirt er, ob es mit andern Varietäten nicht besser geht, und schreibt die Ursache der Abnahme seiner Erträge allen Ereignissen zu, welche sich zugetragen haben, seit er die Abnahme wahrgenommen hat; es ist – seit man einen Wald in der Nähe abgeholzt hat, oder seit die Eisenbahn oder eine chemische Fabrik in der Nähe gebaut worden ist, oder es waren die vielen Gewitter im vorhergegangenen Jahr, oder es ist irgend eine andere Ursache – nur er selbst oder sein Verfahren kann in seiner Idee unmöglich daran Schuld sein,

  1. Dieser Satz bezieht sich auf die Einrichtung mancher deutscher landwirthschaftlichen Lehranstalten; sie sind in der Regel mit einem beträchtlichen Feldgute ausgestattet, welches gleich andern Staatsgütern verwaltet wird. Der Ertrag des Gutes fliesst in die Staatscasse. Die Schule und das Feldgut stehen durch die Person des Dirigenten mit einander in Verbindung, dem die Bewirthschaftung des Feldgutes und die Leitung des Unterrichts gleichzeitig anvertraut ist; an dem Reinertrag der Wirthschaft hat er meistens eine Theilgebühr. Es giebt Männer, welche beiden Aufgaben gewachsen sind, allein in der Regel ist ein guter Techniker kein Mann der Schule und der letztere kein Mann, dem es darauf ankommt eine hohe Rente aus dem Feldgute zu ziehen.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_418.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)