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enthalten und kann aus dem Weizenmehl durch eine mechanische Operation ziemlich rein erhalten werden. In diesem Zustande heisst dieser Stoff Kleber, von seinen klebenden Eigenschaften, an welchen eine geringe Menge eines beigemischten fetten Körpers einigen Antheil hat. Diese Substanz ist in den Samen der Cerealien abgelagert und für sich in Wasser nicht löslich.

Der zweite Bestandtheil der Pflanzen, von welchem ihre Ernährungsfähigkeit abhängig ist, findet sich in den Pflanzensäften gelöst, aus denen er sich nicht bei gewöhnlicher Temperatur abscheidet, wohl aber wenn der Pflanzensaft zum Sieden erhitzt wird. Bringt man den ausgepressten klaren Saft von Kartoffeln, Blumenkohl, Spargel, Rüben etc. zum Sieden, so entsteht darin ein Gerinnsel, welches in seiner äusseren Beschaffenheit und allen seinen übrigen Eigenschaften schlechterdings von dem nicht unterscheidbar ist, welches mit Wasser verdünntes Blutserum oder Eiweiss unter gleichen Umständen liefert.

Der dritte dieser wichtigen Pflanzenbestandtheile findet sich in den Samenlappen der Leguminosen, vorzüglich der Erbsen, Linsen, Bohnen, und kann aus dem Mehl derselben durch kaltes Wasser ausgezogen und in Auflösung erhalten werden; in dieser Löslichkeit ist dieser Stoff dem vorigen ähnlich, er unterscheidet sich aber von demselben dadurch, dass seine Auflösung in der Hitze nicht coagulirt; beim Abdampfen zieht sich an der Oberfläche eine Haut, und mit schwachen Säuren versetzt, entsteht darin ein Gerinnsel wie in der Thiermilch.

Die chemische Untersuchung dieser drei Pflanzenstoffe hat zu dem interessanten Resultate geführt, dass sie Schwefel und Stickstoff und die übrigen Elemente sehr nahe in gleichem Verhältniss enthalten und, was noch weit merkwürdiger ist, es hat sich ergeben, dass sie identisch sind in ihrer Zusammensetzung mit dem Blutalbumin, dass sie die nämlichen Elemente in den nämlichen Verhältnissen enthalten, wie dieser Hauptbestandtheil des Blutes.

In welcher bewunderungswürdigen Einfachheit erscheint, nach der Erkenntniss dieses Verhältnisses der Pflanzen zum Thiere, der Bildungsprocess im Thiere, die Entstehung seines Blutes und seiner Organe! Die Pflanzenstoffe, welche in den Thieren zur Blutbildung dienen, enthalten bereits den Hauptbestandtheil des Blutes fertig gebildet allen seinen Elementen nach. Die Nahrhaftigkeit oder Ernährungsfähigkeit der vegetabilischen Nahrung steht in geradem Verhältniss zu dem Gehalt derselben an diesen Stoffen, und wenn sie darin genossen werden, so empfängt das pflanzenfressende Thier die nämlichen Materien, auf welche das fleischfressende Thier zu seiner Erhaltung angewiesen ist.

Aus Kohlensäure und Ammoniak, aus den Bestandtheilen der Atmosphäre unter Hinzuziehung von Schwefel und gewissen Bestandtheilen der Erdrinde erzeugen die Pflanzen das Blut der Thiere; denn in dem Blut und Fleisch der pflanzenfressenden verzehren die fleischfressenden im eigentlichen Sinne nur die Pflanzenstoffe, von denen die ersteren sich ernährt haben; diese schwefel- und stickstoffhaltigen Pflanzenbestandtheile nehmen in dem Magen des pflanzenfressenden Thieres die nämliche Form und Eigenschaften an, wie Fleischfibrin und Thieralbumin in dem Magen der Carnivoren. Die Fleischnahrung enthält den nahrhaften

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_241.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)