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Knochen um das Vielfache gesteigert wird. Der Verbrauch der Schwefelsäure ist durch diese Anwendung um mehr als das Doppelte gestiegen.

Es würde die Grenze dieser Skizze überschreiten, wenn man alle Anwendungen der Schwefelsäure, der Salzsäure und des Natrons hier in ihren äussersten Verzweigungen verfolgen wollte; allein kaum dürfte man vermuthen, dass die so schönen Stearinsäurekerzen, unsere so wohlfeilen Phosphorfeuerzeuge (die vortrefflichen Reibzündhölzchen) je in Gebrauch gekommen sein würden ohne die so ausserordentliche Vervollkommnung der Schwefelsäurefabrikation. Die jetzigen Preise der Schwefelsäure, Salzsäure, Salpetersäure, der Soda, des Phosphors etc. würde man vor fünfzig Jahren für fabelhaft erklärt haben; wer kann voraussehen, welche neuen Fabrikationen wir in weiteren fünfundzwanzig Jahren erhalten werden? – Man wird nach dem Vorhergehenden die Behauptung nicht für übertrieben halten, dass die chemische Industrie eines Landes mit grosser Genauigkeit nach der Anzahl von Pfunden Schwefelsäure beurtheilt werden kann, die man in diesem Lande verbraucht. In dieser Beziehung giebt es keine Fabrikation, welche von Seiten der Regierungen eine grössere Beachtung verdient. Dass England sich zu so extremen Schritten gegen Neapel wegen des Schwefelhandels entschloss, lag ganz einfach in dem Druck, den die gesteigerten Schwefelpreise auf die Preise der gebleichten und gedruckten Baumwollenzeuge, der Seife und des Glases ausübten. Wenn man erwägt, dass England zum Theil Amerika, Spanien, Portugal, den Orient und Indien mit Glas und Seife versieht, dass es dagegen Baumwolle, Seide, Wein, Rosinen, Korinthen und Indigo eintauscht, dass zuletzt der Sitz der Regierung, London, der Hauptstapelplatz für den Handel mit Wein und Seide ist, so wird man die Bemühungen der englischen Regierung um die Aufhebung des Monopols des Schwefelhandels erklärlich finden.

Es war Zeit für Sicilien, dass ein seinen wahren Interessen so entgegengesetztes Verhältniss so bald ausgeglichen wurde; denn hätte es einige Jahre länger gedauert, so wäre sein ganzer Reichthum an Schwefel für das Königreich höchst wahrscheinlich völlig werthlos geworden. Wissenschaft und Industrie bilden heutzutage eine Macht, die von Hindernissen nichts weiss. Aufmerksame Beobachter konnten leicht den Zeitpunkt bestimmen, wo die Ausfuhr des Schwefels aus Sicilien aufhören musste. Es sind in England fünfzehn Patente genommen auf Verfahrungsweisen, um den Schwefel bei der Sodafabrikation wieder zu gewinnen und um ihn rückwärts wieder in Schwefelsäure zu verwandeln. Vor dem Schwefelmonopol dachte Niemand an eine Wiedergewinnung; die Vervollkommnung dieser fünfzehn gelungenen Versuche wäre sicher nicht ausgeblieben, und die Rückwirkung auf den Schwefelhandel muss auch dem Befangensten einleuchtend sein. Wir besitzen Berge von Schwefelsäure im Gyps und Schwerspath, von Schwefel im Bleiglanz, im Schwefelkies; mit den steigenden Schwefelpreisen kam man darauf, den Schwefel dieser Naturproducte für den Handel zu gewinnen; man stellte sich die Ausmittelung des wohlfeilsten Weges zur Aufgabe, um diese Materien für die Schwefelsäurefabrikation tauglich zu machen. Tausende von Centnern Schwefelsäure werden bei den hohen Schwefelpreisen aus Schwefelkies gewonnen; man würde dahin gelangt sein, die Schwefelsäure aus

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_095.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)