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Verhältniss, in dem unfruchtbaren Boden fehlen einige oder alle diese Bedingungen. Um die Wirkung, die Fruchtbarkeit hervorzubringen, müssen alle zusammen sein.

In gleicher Weise umfasst das Wort Atmosphäre eine Mehrheit von Bedingungen. Der Naturforscher fragt, welches sind diese Bedingungen, und indem er beweist und zeigt, welchen Antheil im Einzelnen und Besonderen gewisse Bestandtheile des Bodens, der Atmosphäre und des Wassers an dem Wachsen der Pflanzen nehmen, so erklärt er das Wachsen, wie die Pflanze an Masse zunimmt, so weit es für den Verstand erklärlich ist.

Wenn der Schmied eine Eisenstange in seiner Esse weissglühend macht und dann herauszieht, so bedeckt sie sich unter Funkensprühen mit einer schwarzen porösen Kruste, die beim Schlagen mit dem Hammer als Hammerschlag abspringt, das Eisen verbrennt. Unter ähnlichen Bedingungen verbrennt Oel in unseren Lampen mit leuchtender Flamme. Der Naturforscher fragt, was geht dem Verbrennen des Eisens, des Oels voraus, was ist es, was darauf folgt? Was sind die Bedingungen, was das Resultat ihrer Verbrennung? Dem Verbrennen des Eisens, des Oels, geht voraus das Eisen, das Oel, die Luft und eine höhere Temperatur. Was ist das Eisen, was ist das Oel? Es giebt eine Menge Oele. Das Wort Oel ist ein Collectivname für gewisse Pflanzen- oder Thierstoffe, worin sich drei ihrer Natur nach ganz verschiedene Bestandtheile befinden. Von der Atmosphäre nimmt nur ein Bestandtheil an der Verbrennung Theil.

Das Eisen nimmt, indem es verbrennt, an Gewicht zu, die Luft, in der es verbrannt wird, nimmt um eben so viel an Gewicht ab; die Luft, in welcher das Oel verbrennt, wird um das Gewicht des verbrannten Oels schwerer.

Die Folge des Verbrennens des Eisens und des Oels ist hiernach klar; das verbrannte Eisen ist Eisen, welches einen Bestandtheil der Luft in sich aufgenommen hat; das verbrannte Oel ist Luft, welche die Bestandtheile des Oels in sich aufgenommen hat. Eine Licht- und Wärmeentwickelung (Feuererscheinung) begleitete den Uebergang des Luftbestandtheiles zum Eisen, und den Uebergang der Oelbestandtheile in Luft. Ein Haupttheil der Erscheinung der Verbrennung ist hiermit erklärt, und indem der Naturforscher weitere Fragen stellt, woher die Wärme und das Licht bei der Verbrennung kommt, warum das Eisen nicht fortbrennt, während das Oel in der Lampe fortbrennt, warum das Eisen mit Funkensprühen, das Oel mit Flamme brennt, und diese Fragen in ganz ähnlicher Weise löst, erklärt er die Erscheinung in ihren Theilen.

Der heutige Naturforscher erklärt, indem er die Ursachen aufsucht, welche der Erscheinung vorhergegangen sind: die sinnlich wahrnehmbaren Ursachen nennt er Bedingungen; die Ursachen, welche durch die Sinne nicht weiter wahrgenommen werden, nennt er Kräfte.

Nach dieser Methode ist die Ursache des Schnupfens nicht die Entzündung der Schleimhaut der Nase, denn dies ist nur eine Erklärung des Wortes Schnupfen; die Erklärung des Fiebers umfasst in ihrem Sinne nicht ein Bild, eine Beschreibung des Fieberzustandes oder der Fiebersymptome, sondern man will wissen, was dem Fieberzustand vorausgegangen ist und was ihn fortdauernd macht; in der Erklärung des Athmungsprocesses

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_017.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)