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der kulturgeschichtliche Hintergrund ihr verleiht. Wäre für die Beurteilung und Würdigung irgend eines Dialektdichters nur die Mundart, wie sie die Zunge des einen sich angewöhnt hat und das Ohr des andern sie auffassen lernt, maßgebend, so müsste es höchst einfach sein, unsere Dialektliteratur durch Uebersetzungen neuhochdeutscher Werke beliebig zu bereichern und zugleich dem Volke auf diesem kürzesten Wege neue Gedanken zuzuführen. Alles was in dieser Richtung bis jetzt geschah und was irgendwie den Stempel der herablassenden Absichtlichkeit an sich trägt, war ohne Ausnahme gründlich verfehlt und wurde denn auch vom eigentlichen Volke, für dessen vermeintliche Bedürfnisse „geschwäbelt und verschwäbigt“ wurde, kurzerhand zurückgewiesen.

Dass die Wahl der Sprache unter Umständen recht wol das Untergeordnete sein kann, ersehen wir einerseits aus der Geschichte des Verhängnisses der Gelegenheitsdichtung und Zeitungssängerei um die Mitte des Jahrhunderts, welche in der formellen Darstellung der Mundart mitunter recht glücklich war (vergl. z. B. die von A. v. Keller anerkannten Wickel’schen Sachen) und dennoch mit Recht nur einen augenblicklichen Erfolg aufzuweisen hatte, anderseits aber aus der eigenartigen Erscheinung der meisterhaften Rieser Dorfgeschichten von Melchior Meyr, in welchen es dem Verfasser sogar mit hochdeutschen Worten vortrefflich gelungen ist, schwäbisches Denken und Leben, Fühlen und Schaffen in wol gesättigten Ortsfarben zu schildern. Die Hauptsache in der Dialektdichtung ist und bleibt die Verewigung kulturgeschichtlicher Anschauungen, d. h. die Rettung jener Erkenntnisse, welche gleichbedeutend sind mit dem Verständnis der „schwäbischen Herrlichkeit“ früherer Tage.

Von solchen Gesichtspunkten aus müssen wir den soeben erschienenen oberschwäbischen Gedichten „Bagenga’“ (Verlag von R. Lutz, Stuttgart. 2,50 M.) näher treten, wenn dieselben zunächst nach ihrem bedeutsamen Inhalte gewürdigt werden sollen. Dr. Buck war wol einer der hervorragendsten Kenner der schwäbischen Kulturgeschichte und hinsichtlich der Verwertung des stammheitlichen Sprachschatzes im Dienste seiner


Michel im schönsten Sinne des Wortes (got. mikils, mhd. michel = groß), hat B. die germanistische Wissenschaft in der schwäbischen Heimat wesentlich gefördert.

Empfohlene Zitierweise:
Fridrich Pfaff (Hrsg.): Alemannia XXI. Hanstein, Bonn 1893, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Alemannia_XXI_009.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)