Seite:Das recht auf faulheit-lafargue-1884.pdf/10

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Theile von der Gesammtbevölkerung Leute mit wenig oder keinem Eigenthum sind. ... Die Kur wird nicht vollständig sein, bis unsere industriellen Armen sich bescheiden, 6 Tage für dieselbe Summe zu arbeiten, die sie jetzt in 4 Tagen verdienen.“

So predigte man bereits hundert Jahre vor Guizot die Arbeit als einen Zügel für die edleren menschlichen Leidenschaften. „Je mehr meine Völker arbeiten, um so weniger Laster wird es geben“, schrieb Napoleon am 5. Mai 1807 aus Osterode. (Begeisterte ihn die Lage der dortigen Landsklaven zu seinem Ausspruch?). „Ich bin die Autorität, ... und ich wäre geneigt zu verfügen, daß Sonntags nach vollzogenem Gottesdienst die Geschäfte wieder geöffnet werden und die Arbeiter wieder ihrer Beschäftigung nachgehen sollen.“ - Um die Faulheit auszurotten und um den Stolz und Unabhängigkeitssinn zu beugen, schlug der Verfasser des „Essais über Industrie etc.“ vor, die Armen in „ideale Arbeitshäuser“ (ideal workhouses) einzusperren, die Häuser des Schreckens sein müßten, in denen man 14 Stunden pro Tag in der Weise arbeiten solle, daß nach Abzug der Mahlzeiten volle 12 Arbeitsstunden übrig bleiben.

12 Arbeitsstunden pro Tag, das Ideal der Philanthropen und Moralisten des 18. Jahrhunderts! Wie weit sind wir über dieses non plus ultra hinaus! Die modernen Werkstätten sind ideale Zuchthäuser geworden, in welche man die Arbeitermassen einsperrt, und in denen man nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen und Kinder zu zwölf- und vierzehnstündiger Zwangsarbeit verdammt.[1]

Und die Nachkommen der Schreckenshelden haben sich durch die Religion der Arbeit so weit degradiren lassen, daß sie 1848 das Gesetz, welches die Arbeit in den Fabriken auf 12 Stunden täglich beschränkte, als eine revolutionäre Errungenschaft entgegennahmen; sie proklamirten das Recht auf Arbeit als ein revolutionäres Prinzip. Schande über das französische Proletariat! Sklaven nur sind einer solchen Erniedrigung fähig. 20 Jahre kapitalistischer Zivilisation müßte man aufwenden, um einem Griechen des Alterthums eine solche Entwürdigung begreiflich zu[ws 1] machen!

Und wenn die Leiden der Zwangsarbeit über das Proletariat hereingebrochen sind, zahlreicher wie die Heuschrecken der Bibel, so ist es dieses selbst gewesen, das sie heraufbeschworen.

Dieselbe Arbeit, welche die Proletarier 1848 mit den Waffen in der

  1. Auf dem ersten europäischen Wohlthätigkeitskongreß (Brüssel 1857) erzählte ein Herr Scrive, einer der reichsten Manufakturisten von Marquette bei Lille, unter dem Beifall der Kongreßmitglieder und mit der Genugthuung erfüllter Pflicht: „Wir haben einige Zerstreuungsmittel für die Kinder eingeführt. Wir lehren sie während der Arbeit singen, während der Arbeit zählen. Das unterhält sie und läßt sie muthig die zwölf Stunden Arbeit antreten, welche nöthig sind, um ihnen ihren Lebensunterhalt zu verschaffen.“ 12 Stunden Arbeit, und welcher Arbeit! Kindern aufgebürdet, die noch nicht 12 Jahre alt sind! – Die Materialisten werden ewig bedauern, daß es keine Hölle gibt, in welche man diese Christen, diese Philanthropen, diese Henker der Kindheit, spediren kann!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Original: zu zu machen
Empfohlene Zitierweise:
Paul Lafargue (übersetzt von Eduard Bernstein): Das Recht auf Faulheit. Schweizerische Genossenschaftsbuchdruckerei, Hottingen-Zürich 1884, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_recht_auf_faulheit-lafargue-1884.pdf/10&oldid=- (Version vom 21.5.2017)