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Walther Kabel: Das Nest der Kronprinzessin (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 2)

sich bei ihm auf der hin und her wiegenden Galerie sehr bald die ersten Anzeichen von Seekrankheit bemerkbar machten.

Mit diesem sonderbaren Haus eng verknüpft ist eine kleine Geschichte, die deutlich beweist, daß das vielfach angezweifelte plötzliche Ergrauen des Kopfhaares infolge seelischer Erregungen durchaus nicht in das Reich der Fabel gehört. Baurat Liman, der das „Nest“ geschaffen hat, erzählt folgendes: „Als vor einer Reihe von Jahren die Frau Prinzessin mir gegenüber den Wunsch nach diesem Waldidyll äußerte, ging ich frisch ans Werk. Aber es war noch weit von seiner Vollendung entfernt, als die hohe Frau zu mir kam und meinte, in vierzehn Tagend müsse alles fix und fertig sein, da der Zar von Bulgarien mit seiner Gemahlin sich angemeldet habe. Als Überraschung wolle sie dem Paare das ‚Nest‘ zeigen und ihren ersten Tee dort geben.

Das war nun eine harte Arbeit. Tag und Nacht wurde geschafft, und zur bestimmten Zeit war denn auch richtig das ‚Nest‘ fertig mit allen inneren Holztäfelungen samt Küche und Drumherum, nebst Turm und Zugbrücke. Jedoch die Haltbarkeit war nicht ausgeprobt, und bange Zweifel plagten mich unausgesetzt, ob die Tragfähigkeit auch genügen würde. Als dann der Nachmittag kam und in dem Hüttchen oben viel mehr Personen weilten, als ich je gedacht, neben den hohen Herrschaften auch noch die Hofstaaten und Minister, da, glaub’ ich, gab’s keinen sorgenvolleren Menschen auf der Erde wie mich. Und zudem erhob sich noch ein heftiger Sturm mit peitschendem dem Regen, so daß der Tee statt der festgesetzten halben Stunde über zwei Stunden währte – für mich eine unendliche Qual! Denn fortwährend peinigte mich der Gedanke, daß ein Riegel, ein Seil, ein Bolzen nachgeben könnte, und daß, wenn erst der Kreis der Anwesenden dadurch beunruhigt würde, alles verloren sei. Ich stellte mich direkt unter das ‚Nestchen‘ – und wie langsam verrannen die Minuten, während der Sturm immer heftiger wurde und die Riesentannen hin und her schüttelte!

Da ging ein bulgarischer General mit dem Leibarzt des Königs vorbei, und ersterer sagte scherzend zu mir: ‚Nun,

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Walther Kabel: Das Nest der Kronprinzessin (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 2). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1914, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Nest_der_Kronprinzessin.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)