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Sie riefen: „Heil dem Dürstenden!“ und schwiegen,[1]
Und ohne Weit’res war ihr Sinn erklärt.

7
Ich, leichter als auf andern Felsenstiegen,[2]

Ging aufwärts, den behenden Geistern nach,
Und sonder Mühe ward der Kreis erstiegen.

10
„An Lieb’, entzündet von der Tugend,“ sprach[3]

Mein Meister nun, „ist andre stets entglommen,
Wenn sichtbar nur hervor die Flamme brach.

13
Darum, seit Juvenal hinabgekommen,

Zum Höllenvorhof, und mit uns vereint,
Von dem ich, wie du mich geliebt, vernommen,

16
War ich in Liebe dir so wohl gemeint,

Wie wir sie selten Nie-Geseh’nen weihen,
So, daß nur kurz mir diese Stiege scheint.

19
Doch sprich, und wolle mir als Freund verzeihen,

Löst mir zu große Sicherheit den Zaum,
Und wolle Kunde mir als Freund verleihen:

22
Wie fand der Geiz doch – ich begreif es kaum –

Bei solcher Weisheit, wie dein eifrig Streben
Errungen hat, in deinem Busen Raum?“

25
Hier sah ich Lächeln Jenes Mund umschweben,

Dann sprach er: „Jedes Wort aus deinem Mund,
Zeugt’s nur von Liebe, muß mir Freude geben.

28
Oft werden uns von außen Dinge kund,

Die falsche Zweifel in der Seel’ erregen,
Weil tief verborgen ist ihr wahrer Grund.

31
Du scheinst – die Frage zeigt’s – den Wahn zu hegen,

Daß mich der Geiz auf Erden einst geplagt,
Vielleicht weil ich in diesem Kreis gelegen.


  1. 5. Heil dem Dürstenden, Beziehung auf Matthäus 5, V. 6: Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit. – Hier beim Uebergange von der Buße der Geizigen zu der der Schwelger ist die Erinnerung an dieses Wort Christi ganz am rechten Orte.
  2. 7. Die Prophezeihung Virgils, daß ihm die Mühe werde zum Genusse werden, fährt fort sich zu erfüllen.
  3. 10. Wenn wir erfahren, daß ein Anderer uns wegen dessen, was gut in uns ist, liebt, so lieben wir ihn gewiß wieder. Deshalb liebt Virgil den Statius, seitdem er von der Liebe desselben zu ihm durch Juvenal unterrichtet ist.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_320.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)