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Weit größre Lust, als eignes Glück zu geben.

112
Doch zweifelst du an meinem tollen Neid,

So höre nur! – Die Jugend war verflossen,
Und abwärts ging der Bogen meiner Zeit

115
Als nah’ bei Colle meine Landsgenossen

Den kampfbereiten starken Feind erreicht;
Da bat ich Gott um das, was er beschlossen.

118
Drauf wird ihr Heer geschlagen und entweicht,[1]

Und ich, erblickend, wie der Feind es jage,
Fühl’ eine Lust, der keine weiter gleicht,

121
So daß ich kühn den Blick gen Himmel schlage,

Und rufe: „Gott, nicht fürcht’ ich mehr dich jetzt“,
Der Amsel gleich am ersten warmen Tage.[2]

124
Nach Gottes Frieden sehnt’ ich mich zuletzt

Am Rand des Lebens, aber meine Schulden
Durch Reue wären sie nicht ausgewetzt,

127
Wenn Pettinagno meiner nicht in Hulden[3]

Gedacht in seinem heiligen Gebet;
Noch müßt’ ich vor dem Throne harrend dulden.

130
Doch wer bist du, der offnen Auges geht,

So scheint’s, um unsern Zustand zu erkunden,
Und dessen Athem noch beim Sprechen weht?“

133
„„Mit Draht wird einst mein Auge hier durchwunden,““[4]

So sprach ich, „„doch ich hoffe kurze Frist,
Weil man’s nur selten scheel vor Neid gefunden.

136
Mehr als das Leid, ob deß du traurig bist,

  1. 118. Das, was sie geboten, geschah; aber nicht, weil sie darum gebeten, sondern weil Gott es ohnehin beschlossen hatte.
  2. 123. In der Lombardei werden, wie Lombardi erzählt, die drei letzten Tage des Januar die Amsel-Tage genannt, weil dort um diese Zeit schon oft das schönste Frühlingswetter eintritt und die Amseln, als wäre es schon Sommer, zu singen anfangen. Nach einer sprichwörtlich benutzten Volkssage entflog eine Amsel in diesen Tagen dem Käfig, weil sie glaubte, der Frost sei ganz vorbei, und bereute ihre Flucht zu spät, als er wieder eintrat.
  3. 127. Pettinagno, ein frommer Einsiedler, dessen Gebet, wie Sapia glaubt, ihr schneller die Zulassung zur Läuterung erwirkt hat, weil sie ohne dieses Gebet, wegen zu lange versäumter Reue, noch vor der Pforte des Fegefeuers harren müßte.
  4. 133. Ganz frei vom Neide fühlt sich der Dichter nicht. Weit mehr aber weiß er sich der Sünde des Hochmuths schuldig.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_272.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)