Bei welcher Würd’ und Anstand nimmer waltet,
Da ward mein Geist, verengt erst und verstört,
Und, das Gesicht dem Berge zugewandt,
Sah ich, dem Himmel zu, ihn hochgestaltet.
Durch meines Körpers Umriß und Geberde
Verdeckt war’s, da mein Leib ihm widerstand.
Kehrt’ ich mich schleunig seitwärts, da ich sah,
Beschattet sei von mir allein die Erde.
Zu mir gewandt, errathend, was ich dachte,
„Glaubst du, ich sei dir nicht, wie immer, nah’?
An Napels Strand, den jetzt schon Nacht umflicht,
Wohin man von Brindisi einst ihn brachte.
So staune nicht darum – hemmt doch der Schimmer[3]
Des einen Himmels nie des andern Licht.
Und sie empfinden Hitz’ und Frost und Pein;
Doch wie er’s macht, entschleiert er uns nimmer.[4]
Mit der Vernunft, selbst in endlose Sphären,
Wo Er, der Ew’ge, Einer ist in Drei’n.
- ↑ 19. Dante, welcher im Dunkel der Hölle Virgils Schatten weder bemerken, noch vermissen konnte, sieht erst jetzt, da ihm die Sonne im Rücken steht, erschrocken, daß sein Leib allein einen Schatten vor ihn hinwirft, und glaubt sich, da er den des Führers nicht sieht, von ihm verlassen.
- ↑ 25–27. Virgil starb zu Brindisi und wurde zu Neapel begraben. Daß es dort eben Abend werden mußte, erläutert sich durch das, was oben bei V. 1–9 des zweiten Gesanges bemerkt ist.
- ↑ 29. Der Dichter denkt sich unter dem Himmel, oder vielmehr unter den vorausgesetzten verschiedenen Kreisen des Himmels, mehrere über einander gespannte durchsichtige Gewölbe.
- ↑ [33 ff. Dennoch versucht Dante Fegef. 25, 100 ff. das Räthsel zu lösen, wie die Schattenleiber empfinden können.]
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_213.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)