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Theodor Herzl: Der Judenstaat.

Um den Entwurf vor dem Verdacht der Utopie zu schützen, will ich auch sparsam sein mit malerischen Details der Schilderung. Ich vermuthe ohnehin, dass gedankenloser Spott durch Zerrbilder des von mir Entworfenen das Ganze zu entkräften versuchen wird. Ein im Uebrigen gescheiter Jude, dem ich die Sache vortrug, meinte: „das als wirklich dargestellte zukünftige Detail sei das Merkmal der Utopie.“ Das ist falsch. Jeder Finanzminister rechnet in seinem Staatsvoranschlage mit zukünftigen Ziffern und nicht nur mit solchen, die er aus dem Durchschnitt früherer Jahre oder aus anderen vergangenen und in anderen Staaten vorkommenden Erträgen construirt, sondern auch mit präcedenzlosen Ziffern, beispielsweise bei Einführung einer neuen Steuer. Man muss nie ein Budget angesehen haben, um das nicht zu wissen. Wird man darum einen Finanzgesetzentwurf für eine Utopie halten, selbst wenn man weiss, dass der Voranschlag nie ganz genau eingehalten werden kann?

Aber ich stelle noch härtere Zumuthungen an meine Leser. Ich verlange von den Gebildeten, an die ich mich wende, ein Umdenken und Umlernen mancher alten Vorstellung. Und gerade den besten Juden, die sich um die Lösung der Judenfrage thätig bemüht haben, muthe ich zu, ihre bisherigen Versuche als verfehlt und unwirksam anzusehen.

In der Darstellung der Idee habe ich mit einer Gefahr zu kämpfen. Wenn ich all’ die in der Zukunft liegenden Dinge zurückhaltend sage, wird es scheinen, als glaubte ich selbst nicht an ihre Möglichkeit. Wenn ich dagegen die Verwirklichung vorbehaltlos ankündige, wird Alles vielleicht wie ein Hirngespinst aussehen.

Darum sage ich deutlich und fest: ich glaube an die Möglichkeit der Ausführung, wenn ich mich auch nicht vermesse, die endgiltige Form des Gedankens gefunden zu haben. Der Judenstaat ist ein Weltbedürfniss, folglich wird er entstehen.

Von irgend einem Einzelnen betrieben, wäre es eine recht verrückte Geschichte – aber wenn viele Juden gleichzeitig darauf eingehen, ist es vollkommen vernünftig, und die Durchführung bietet keine nennenswerthen Schwierigkeiten. Die Idee hängt nur von der Zahl ihrer Anhänger ab. Vielleicht werden

Empfohlene Zitierweise:
Theodor Herzl: Der Judenstaat.. , Berlin und Wien 1896, Seite 05. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Herzl_Judenstaat_05.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)