Seite:Cornelius Loggien-Bilder München.pdf/32

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Loggia IV.


Giotto di Bondone.




Wie wenn der Frühling in’s Land gekommen und es mit Wald- und Wiesengrün bedeckt und in Blumenpracht kleidet, so erscheint das 14. Jahrhundert in der Kunstgeschichte Italiens, das es mit Künstlern und Kunstwerken im reichsten Maasse und von überraschender Vortrefflichkeit beglückt. Diese an’s Wunderbare grenzende Erscheinung hat ihren Ausgangspunkt in einem Künstler, von welchem seine Grabschrift sagt, dass sein blosser Name einem grossen Gedicht gleichkomme[1] Indem Giotto sich entschieden von der byzantinischen Anschauungs- und Darstellungsweise lossagte, und der italienischen Kunst einen neuen, eigenthümlichen Styl, gleichsam eine neue, und zwar nationale Sprache gegeben, wie es Dante in der Poesie gethan, ward er zum Gründer einer neuen Zeit, weckte Hunderte von Talenten, die ihm unbedingt folgten und beherrschte durch sein Vorbild das ganze Jahrhundert hindurch die Kunst von Florenz zu der Südspitze Italiens und bis zu den Alpen, ja selbst bis über die Landesgrenzen hinaus.

Dieser geschichtlichen Thatsache hat Cornelius zunächst in der

Kuppel (Tafel 7)

einen Ausdruck gegeben, indem er dieselbe mit einem Blüthenregen von lieblichen, mannigfaltigen, geistreichen Ornamenten überschüttet hat, in denen zwischen Arabesken von Blumen- und Blätterranken bald ein Wettstreit der Waffen stattfindet, bald die Kunst vom Genius des Lebens empor getragen wird; wo bald neckische Vögel Honig suchen in Blumenkelchen, bald fröhliche Kinder unter Arcaden von Laubgewinden ihren Reigen tanzen. Es war aber nicht allein die Malerei, die diesen Geistesfrühling über Italien ausgebreitet; Nichola und Giovanni Pisano hatten der Bildhauerei, Dante der Poesie, wie Giotto der Malerei neues Leben gegeben, wesshalb wir auch ihre Bildnisse zwischen den Blumenranken erblicken.

Oft bedient die Geschichte sich des Zufalls, um grosse Zwecke zu erreichen. Giotto war der Sohn eines einfachen Landmannes im Dorfe Vespignano in der Umgegend von Florenz, Namens Bondone, geboren 1276. Er hütete, 10 Jahre alt, die Schafe seines Vaters und dabei vergnügte er sich, wie Vasari erzählt, damit, auf Steine, Erde und in Sand immer etwas nach der Natur, oder was ihm in den Sinn kam, zu zeichnen. Da ging eines Tages Cimabue eines Geschäftes halber von Florenz nach Vespignano und fand Giotto, der während seine Schafe weideten, auf einer ebenen Steinplatte mit einem etwas zugespitzten Steine ein Schaf nach dem Leben zeichnete, was ihn Niemand gelehrt, sondern er nur von der Natur gelernt hatte. Cimabue blieb stehen, verwunderte sich sehr und fragte ihn, ob er mit ihm kommen und bei ihm bleiben wolle? worauf der Knabe antwortete: „wenn sein Vater damit zufrieden sei, so würde er es gerne thun.“ Der Vater willigte ein. So kam Giotto zur Kunst und zum Beginn seiner alsbald glorreichen Laufbahn. In einem einfachen reizenden Bilde von idyllischem Charakter hat uns Cornelius die Scene vergegenwärtigt.

Das zweite Bild der Kuppel führt uns Giotto bereits als anerkannten


  1. Denique sum Jottus. Quid opus fuit illa referre? Hoc nomen longi carminis instar erit.
Empfohlene Zitierweise:
Text von Ernst Förster: Peter von Cornelius − Entwürfe zu Fresken in den Loggien der Pinakothek zu München . Verlag von Alphons Dürr, Leipzig 1875, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Cornelius_Loggien-Bilder_M%C3%BCnchen.pdf/32&oldid=- (Version vom 31.7.2018)