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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821].
In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte, Hamburg 1967.

5) Ueber die Vorfälle beim Zeitungsträger Haase

In der von ihm bewohnten Kammer sey ungefähr in der Mitte ihrer Höhe eine Art von Verschlag oder Bucht gewesen, in der während der Messe jemand geschlafen, damals aber Stroh gelegen habe. Von Mäusen und Ratten habe er gerade nichts bemerkt, denn es habe manchmal Fleisch oder Brod an der Erde gestanden, welches von ihnen nicht berührt worden sey. Allein in der Thür sey eine Oeffnung gewesen, durch die eine Katze habe hineinkriechen können, auch habe er manchmal des Nachts eine darinnen bemerkt. Zu dieser Zeit sey das Brausen in seinen Ohren sehr heftig gewesen, es habe ihm gedäucht, als ob ihm von oben her Hitze auf den Kopf ginge, und als ob ihm der Kopf zerspringen solle. Dabei habe er Schmerz in den Schläfen, Herzklopfen, allgemeine Hitze im ganzen Körper und Schweiß vor der Stirne gehabt. Auf dem gedachten Verschlage habe er es in der Nacht und nachher auch bei Tage öfters knistern und rumoren hören und sich dabei des Gedankens nicht erwehren können, daß es Geister wären. Um diese Zeit habe ihm einmal von einem Geiste geträumt, der zu ihm gesagt hätte: ich werde dir einen andern schicken! worauf er selbst im Traume geantwortet habe: ich fürchte mich nicht!

Sechs Tage nachher, also gerade so lange, als nach einem ähnlichen Traume in Stettin, sey er Abends nach zehn Uhr in seine Kammer gekommen und habe die Thüre schon zugemacht gehabt. Da habe auf dem Verschlage eine ganz feine Stimme, wie die eines jungen Frauenzimmers, die Worte gesagt: o komm doch! Es hätten sich ihm die Haare in die Höhe gesträubt und er sey sogleich herunter zu Haasens gelaufen, wo er drei Nächte zugebracht habe. – Ein andermal, als er am Tage in dieser Kammer gesessen, und eben eine Arbeit beendiget, habe er in der Nebenkammer eine Stimme gehört, welche gesagt: was macht er nun? Als er nachgesehen, sey niemand in der Kammer gewesen. – Darauf habe es ihm einmal die Worte: aufs Deckbette, aufs Deckbette, und ein anderes Mal: auf dem Teller, auf dem Teller, zugeflüstert, wovon er auch der Haasin erzählt habe. Weil er aber von Haasens darüber ausgelacht worden, habe er ihnen nachher nicht mehr alles gesagt. – Einmal sey ihm gewesen, als ob eine Stimme mit ihm spräche und eine dritte dazwischen sage: die erzählen sich einander etwas. Meistens habe es ihm geschienen, als ob sich zwei miteinander stritten, gleichsam eine warnende Stimme, und eine andere, die ihn wolle auf Abwege führen. Er habe sich wohl zuweilen die Vorstellung gemacht, dieß sey die Stimme des Gewissens, aber das könne doch nicht laut sprechen. Mehrmals bediente er sich bei diesen Erzählungen des Ausdrucks: Es habe um ihn geschrieen. Als ich ihn aber deßhalb genauer befragte, nahm er diesen Ausdruck zurück und sagte: er habe diese Stimme immer nur leise vernommen,

Empfohlene Zitierweise:
Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821]. In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte. Hamburg: Wegner, 1967, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clarus-Gutachten_513.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)