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Durch Vorarbeiten, welche ich zu dem Zwecke gemacht habe, für die Töne genaue Messungsmethoden zu begründen, und durch dieselben einige Eigenschaften der Körper genauer kennen zu lernen,[1]


  1. Wenn es möglich wäre, mit dem Gehöre eben so genaue Bestimmungen der Töne zu machen, als die Messungen des Raumes durch den Gesichtssinn sind, so würde man einige Eigenschaften und Kräfte der Körper, wie die Cohäsion, die Compressibilität, die Dilatabilität, die Ausdehnung durch die Wärme, zu deren Untersuchung räumliche Messungen des Gesichtsinns weniger geeignet sind, genauer als bisher kennen lernen. Wie klein ist z. B. die Verlängerung einer Metallstange, wenn sie sich durch die Wärme ausdehnt, und wie schwierig, diese kleine Verlängerung genau zu messen! Wie gross ist dagegen die Aenderung der Tonhöhe einer transversal schwingenden Metallsaite, wenn sie, mit ihren Enden zwischen zwei unveränderlichen Punkten befestigt und aufgespannt, nur die geringste Verlängerung erleidet, weil durch diese Verlängerung die Kraft, durch welche die Saite in der Richtung ihrer Länge gespannt wird, sehr schnell abnimmt.

    Bei meinen Versuchen wog z. B. eine 48 Par. Lin. lange Eisensaite 0,gr.02473. Wird diese Eisensaite mit 144gr.,63 gespannt, so macht sie 864 Schwingungen in einer Secunde (gibt den Ton a′, wie gewöhnlich die Stimmgabeln der Pianoforte’s). Wird sie bei der Spannung von 144gr.,63 festgeklemmt, und so erwärmt, dass sie um den 1000sten Theil einer Par. Linie sich ausdehnt, so gibt sie nach meinen Versuchen einen Ton, der mehr als einen Viertelton tiefer als a′ ist. Ein geübtes Ohr kann aber, wie wir gleich nachher sehen werden, selbst die Wirkung einer Schwingung zu 1000 Schwingungen noch unterscheiden, und folglich noch den 40. Theil von jenem Tonunterschiede wahrnehmen. Um wie [190] viel vortheilhafter ist in diesem Falle der Gebrauch des Ohres als des Auges; denn die Messung mittelst des Ohrs ist in diesem Falle etwa 40 Mal feiner als die mittelst des Auges, das, selbst durch das stärkste Mikroskop unterstützt, höchstens bis auf den 1000sten Theil einer Linie sicher ist.

    Die Fortschritte der Mechanik von physikalischer Seite scheinen hauptsächlich auf genauer Ausmittelung einiger Bewegungen zu beruhen. Welchen Gewinn hat man in der Mechanik aus einer einzigen Thatsache zu ziehen gewusst, aus der Messung des Raumes, welchen ein Körper im leeren Raume in einer Secunde von der Ruhe ab durchfällt! Aehnliche Vortheile bei Untersuchung einiger Naturkräfte kann es gewähren, wenn die Zahl der Schwingungen, die ein Körper unter bestimmten Verhältnissen macht, gleich genau, wie der Fallraum, gemessen wird.

    Aber wie kommt es, dass die eigenthümlichen Vortheile, die das Ohr vor dem Auge voraus hat, noch so wenig zu genauen Messungen der Naturkräfte benutzt sind? In der zu geringen Feinheit des Gehörs liegt der Grund nicht, dass dasselbe so wenig zu solchen Zwecken angewendet worden ist; denn ich kann aus Erfahrung beweisen, dass es fein genug empfindet, um unter günstigen Umständen die Töne unmittelbar so genau zu bestimmen, dass der Fehler auf 200 Schwingungen nie mehr als eine Schwingung beträgt. Und so wie, wenn man das Auge durch einen Nonius oder Vernier, durch den Keil, durch den Fühlhebel, und durch die Mikrometerschraube unterstützt, noch weit genauere Messungen mit ihm machen kann, als ohne diese Hülfsmittel, so stehen uns bei Bestimmung der Höhe der Töne Methoden zu Gebote, welche auf eine ähnliche Weise die Zählung der Schwingungen durch die Höhe der Töne so vervollkommnen, [191] dass man unter günstigen Umständen auf 1000 Schwingungen nie mehr als eine irrt.

    Ich will hier nur zweier von diesen Methoden gedenken, deren ich mich bei meinen Untersuchungen mit vorzüglichem Vortheile bedient habe. Die Beobachtung der sogenannten Schwebungen ist die erste dieser Methoden. Wenn die nicht ganz übereinstimmenden Pendel zweier Uhren neben einander schwingen, so beobachtet man bald Zeiträume, wo die Pendelschläge beider zwischen einander fallen, bald Zeiträume, wo sie zusammenfallen, und deswegen einen stärkeren Eindruck auf’s Ohr machen. Eben so machen von Zeit zu Zeit die Schwingungen zweier neben einander tönender Körper, bei denen nur ein geringer Unterschied ihrer Tonhöhe stattfindet, auf das Ohr einen stärkeren Eindruck, so oft die Maxima ihrer Schwingungen zusammenfallen; und diese stärkeren Eindrücke auf unser Ohr nennen wir Schwebungen. Diese sogenannten Schwebungen leisten nun für das Ohr dasselbe, was der Vernier bei Längenmessungen und Winkelmessungen leistet. Durch den Vernier wird eine und dieselbe Linie zweimal in gleiche Theile getheilt, so dass sie bei der zweiten Theilung eine Unterabtheilung mehr als bei der ersten Theilung erhält. Durch die Schwingungen zweier Körper, welche Schwebungen hervorbringen, wird ein und derselbe Zeitraum zweifach in gleiche Theile getheilt, so dass die eine Theilung eine Unterabtheilung mehr als die andere erhält. Wie man nun beim Vernier das Zusammenfallen zweier Striche beobachtet, so beobachtet man die Schwebungen als das Zusammenfallen zweier Schwingungen.

    Die zweite von mir immer angewendete Methode zur Unterstützung des Ohres bei der Vergleichung zweier Töne gründet sich darauf, dass ich den zu bestimmenden Ton auf doppelte Weise mit einem [192] andern Tone in Einklang zu bringen suche, erst durch Erhöhung, dann durch Vertiefung des zweiten Tones, und auf beiden Seiten die Grenzen bestimme, wo das Ohr den Unterschied beider Töne wahrzunehmen anfängt.

    Aber die grosse noch vorhandene Schwierigkeit beim Bestimmen der Töne durch das Ohr, liegt darin, dass es uns noch jetzt an einem zuverlässigen unveränderlichen Masstabe für die Höhe der Töne fehlt, an einem Körper, den man sich mit Sicherheit immer von neuem zurichten kann, und welcher immer genau denselben Ton hervorbringt, an einem Tone, der ein Mas für alle übrigen Töne ist, ein Normalton, um alle anderen Töne mit ihm vergleichen und auf ihn reduciren zu können. Welchen Arbeiten haben sich die Physiker der neuern Zeit unterzogen, um ein solches Mas für räumliche Messungen zu gewinnen; welche Entdeckungen waren nothwendig, um durch die gehörigen Correctionen wegen Einflusses der Wärme und der umgebenden Luft, alle Längenmessungen, Barometermessungen und Pendelmessungen unter einander vergleichbar zu machen!
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Weber: Compensation der Orgelpfeifen. B. Schott’s Söhne, Mainz, Paris, Antwerpen 1829, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Caecilia206-229.pdf/9&oldid=- (Version vom 31.7.2018)