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II Hen 29,4-5: „Einer aber von der Ordnung der Erzengel, der mit seiner Heerschar abgefallen war, faßte den unmöglichen Gedanken, daß er seinen Thron höher denn die Wolken über der Erde setze, damit er dem Range meiner (Gottes) Kraft gleich werde. Und ich warf ihn hinab von der Höhe mit seinen Engeln. Und er fliegt beständig in der Luft über dem Abgrund“[1]. Daß hier von einem Kampf Gottes, dort vom Kampf Michaels mit dem Drachen die Rede ist, daß hier der Teufel mit seinen Scharen im Reiche der Luft bleibt, dort auf die Erde herabsteigt, sind unwesentliche und begreifbare Varianten. Wesentlicher ist der Unterschied, daß was hier als ein Ereignis urgrauer Vergangenheit erzählt wird, in unserem Kapitel als Ereignis der Zukunft geweissagt wird. Aber auch diese Umformung eines Mythus aus der Urzeit in eine eschatologische Weissagung läßt sich begreifbar machen. Jene Anschauung vom Sturz des Satan in der Urzeit ist im jüdischen Volksglauben nicht die einzige und nicht die herrschende gewesen. Wir sehen gerade aus unserm Kapitel, daß daneben noch die im alten Testament (Hiob 1f.; Sach 3,1ff.) herrschende sich behauptet, daß der Satan als Anklageengel noch immer und bis zur Endzeit seinen Platz vor Gottes Thron behaupte (12,10). Aus einer Kombination beider Überlieferungen konnte und mußte dann die eschatologische Erwartung entstehen, daß der Satan am Ende der Zeiten mit seinen Scharen von seinem Platz im Himmel herabgestürzt werden solle. Diese Überzeugung muß im neutestamentlichen Zeitalter verbreitet gewesen sein. Nur von hier aus erklärt es sich, wenn Jesus nach Lk 10,18 auf die Kunde davon, daß auch seine Jünger Dämonen austreiben, in die Worte ausbricht: „Ich sahe den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen“. Ist das Wort echt, so glaubte auch Jesus, daß die Endzeit mit dem Sturz des Satans vom Himmel beginne, und daß sich aus dieser von ihm (visionär) geschauten Besiegung des Satans im Himmel auch seine (relative) Machtlosigkeit auf Erden erkläre (vgl. Mt 12,28 u. Par. und Joh 12,31). — So folgte unser Apok. nur einer weiter verbreiteten Auffassung, wenn er den Mythus vom Teufelssturz aus der Vergangenheit in die Zukunft projizierte.

6. So hebt sich die mittlere Partie unseres Kapitels 12,7-12 deutlich aus innern Gründen — durch die beigebrachten Parallelen — und aus äußern — ich verweise noch einmal auf die Doublette in V. 6 und 13ff. und auf den ungeschickten Übergang in V. 13 — von seiner Umrahmung ab. Es bleibt uns die schwierigere Aufgabe, der Weissagung 12,1-5.(6).13-17.(18) durch Rückgang auf ihre Genesis ein einigermaßen hinreichendes Verständnis abzugewinnen. In diesen Versen haben wir die kompakte Masse des speziell Mythologischen, weder aus jüdischen noch aus christlichen Prämissen Begreifbaren.


  1. Es ist oben zu 12,7 schon auf die Parallelen zu dieser Vorstellung von Satans Himmelssturm und Sturz in der eranischen Mythologie (Bundehesh) hingewiesen. Es scheint mit keine Frage zu sein, daß diese jüdische Idee aus der persischen Mythologie stammt. Aber die Entscheidung über diese Frage trägt für die Erklärung unseres Kapitels nichts aus. Jener eranische Mythus wird übrigens wieder im letzten Grunde auf den babylonischen vom Drachenkampf zurückführen. Auf diesen Zusammenhang deutet vielleicht noch unser Kapitel mit seiner Kombination der Gestalt des persönlichen Teufels (Ahrimans) mit der des Drachen.
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Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1906, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S351.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)