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Walther Kabel: Bix. In: Von Nah und Fern. Illustriertes aktuelles Unterhaltungsblatt für Jedermann. Beilage zur Lienzer Zeitung. Heft 27 S.1–4, Heft 28 S.2–5, Heft 29 S.2–5, Heft 30 S.1–5, Heft 31 S.6

Eine Detektiv- und Herzensgeschichte von Walther Kabel.
(Nachdruck verboten.)
(Schluß.)

„Lisachen, zweifelst Du denn noch daran, daß mein Herz ihm ganz, ganz gehört?“ meinte sie dann mit schmerzlichem Vorwurf und wandte mir ihr trauriges Gesichtchen zu. „Ich bin ja nur deshalb so plötzlich aus Stranddorf geflohen, weil ich fürchtete, daß die Leidenschaft, die Sehnsucht nach Glück mich veranlassen könnte, ihn zurückzurufen zu mir … irgendwie – ihm zu sagen, wie unendlich ich ihn liebe und mich bange sehne nach seiner weichen Stimme und dem zärtlichen Blick seiner Augen … Ja, das fürchtete ich. Denn Du ahnst ja nicht, wie er all das, was ich längst erstorben glaubte, in mir wieder geweckt hat, ahnst nichts von den letzten durchweinten Nächten, weißt nicht, wie Bix mich jetzt peinigt mit den steten Fragen nach dem lieben Onkel Benters …“ Und da hat Käti mir plötzlich die Arme um den Hals gelegt und so herzbrechend geweint, daß ich sie gar nicht beruhigen konnte …“

Halb betäubt und doch innerlich jubelnd lauschte Benters diesen Worten, die ja für ihn die beseligendste Offenbarung enthielten. Und als der Referendar jetzt mit einem fragenden Blick den Brief vorsichtig wieder zusammenfaltete, sagte er mit vor freudiger Erregung halb erstickter Stimme:

„Ja … wir fahren zu ihr, Jarotzki – wir fahren! Und ihr, die sich über die wiedergefundenen Schmuckwaren kaum sonderlich gefreut hätte, will ich etwas Kostbareres mitbringen, etwas, das sie an mich ketten soll für das ganze Leben …“ –

Es war am folgenden Tage. Frau Käti saß auf dem blumengeschmückten Balkon ihrer Wohnung, hatte die Hände im Schoße gefaltet und schaute sinnend auf die wie eine ferne Gletscherlandschaft geformten Wolkengebilde, deren höchste Spitzen von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne in ein zartes Rot getaucht wurden. Ihr gegenüber in einem bequemen Schaukelstuhl hatte Lisa Döring Platz genommen, während Bix zwischen ihnen auf dem teppichbelegten Boden spielte. Lisa rückte den Schaukelstuhl jetzt möglichst unauffällig noch näher an das schmiedeeiserne Gitter, zog dann ebenso verstohlen zum so und so vielten Male ihre Uhr und schaute hierauf wieder aufmerksam die stille, vornehme Straße der Villenvorstadt entlang, deren Bürgersteige durch alte, breitästige Linden überschattet wurden. Doch das grüne Blätterdach entzog die Vorübergehenden fast vollkommen ihren Blicken. Daher lauschte sie desto angestrengter, lauschte pochenden Herzens. Die Erwartung, die Wiedersehensfreude machte sie fiebern. Als Frau Kätis Brust jetzt plötzlich ein schwerer Seufzer hob, sah sie die ältere Schwester mitleidig und doch mit einem zärtlich spitzbübischem Lächeln an, die heute wieder so schweigsam ihren wehmütigen Gedanken nachhing. Diese konnte ja nicht ahnen, wie nahe ihr das Glück war, wie bald ihre geheimsten Wünsche erfüllt werden sollten – konnte nicht wissen, daß Lisa auf ihrem Herzen einen Brief Jarotzkis trug, der erst heute nachmittag eingetroffen war und einen Vorschlag enthielt, ein reizendes Plänchen, wie man Frau Käti und Benters die Aussprache erleichtern könnte. Und das junge Bräutchen hatte genau nach den erhaltenen Anweisungen gehandelt, hatte ihre kleine Nichte bereits eingeweiht und wartete jetzt ungeduldig die weitere Entwicklung der Dinge ab.

Minuten vergehen. Dann kommt ein fester, elastischer Männerschritt den Bürgersteig entlang. Ein Herr biegt nach prüfendem Blick auf die Nummer des Hauses in den Vorgarten ein, verschwindet in der Tür. Vorsichtig winkt Lisa dem kleinen Mädchen zu. Bix versteht, erhebt sich geräuschlos, eilt durch den bereits etwas dämmerigen Salon in den Korridor und öffnet leise die Flurtür. Niemand sieht es, wie Benters die letzten Stufen der Treppe mit einem einzigen Satz emporspringt, wie er das Kind in die Arme reißt und an sich drückt. Und Bix schmiegt ihre weiche Wange zärtlich gegen des geliebten Onkels Gesicht, legt die Ärmchen um seinen Hals und flüstert mit drolligem Ernst in dem Bewußtsein ihrer wichtigen Mission:

„Onkel, Mamachen ist auf dem Balkon … Komm, Onkel, komm … Ich habe alles fein behalten, was Tante Lisachen mir gesagt hat …“ –

Lisa klopft das Herz bis zum Halse hinauf, seitdem die Kleine verschwunden ist. Die Entscheidung naht. Aber sie fürchtet für den glücklichen Ausgang nichts mehr. Und jetzt hält sie den Augenblick für gekommen. Möglichst harmlos wendet sie sich an die Schwester, die noch immer regungslos in die abendliche Röte[1] des Himmels starrt:

„Käti, möchtest Du nicht einmal in den Salon gehen? Ich glaube, Bix will Dich mit einem Geschenk überraschen. Mache ihr doch die Freude und gehe gleich … bitte, bitte.“ Und Lisa lächelt dabei so sonnig, so schelmisch.

Die junge Frau sieht wohl dieses Lächeln, fühlt auch wohl die nur unterdrückte Erregung aus den Worten der Schwester heraus, denkt aber nur an irgendeinen liebgemeinten Scherz ihres Kindes. Bereitwillig erhebt sie sich, durchschreitet gesenkten Kopfes die Balkontür, tritt in den Salon ein. Und dann umfängt ihr Blick zwei Gestalten … Ihre Augen weite sich fast schreckhaft, wie angewurzelt bleibt sie stehen. Das Blut ist ihr so plötzlich zum Herzen geschossen, daß ein Schwindel sie zu befallen droht, daß sie wie Halt suchend mit der Rechten um sich tastet. Da ist Bix schon neben ihr, zieht Benters mit sich, und das feine, lachende Kinderstimmchen dringt an ihr Ohr:

„Mamachen, Mamachen … ist mein Geschenk … unser neuer Papa …“ –

Wirklichkeit ist’s, seligste Wirklichkeit … Sie sieht wieder diese flehenden Augen, sieht das geliebte Antlitz, durchleuchtet von rührender Hingabe, innigster Zärtlichkeit. Und mit einem halbunterdrückten, jubelnden Aufschrei breitet sie die Arme aus, hält ihn umfangen, der sie jetzt so behutsam an sich drückt. Und eine Stimme, nach deren weichem Klange sie sich unsagbar gesehnt hat, flüstert so leise mit dem alten berauschenden Wohllaut:

„Mein, mein … endlich mein!“ –

Bix aber muß noch eine ganze Weile warten, bis sie auch den letzten Teil ihrer Aufgabe erledigen kann. Denn Mamachen und der neue Papa halten sich noch immer umschlungen, tauschen zwischen langen, langen Küssen Worte aus, die sie nicht versteht. Da endlich kann sie der Mutter Hand haschen, kann sie zu sich herabziehen. Und Frau Käti kniet nieder, läßt sich von ihrem Kinde einen glatten goldenen Reif über den Finger streifen, küßt Bix dann unter Tränen. Und Benters Hand streicht jetzt wieder wie einst über das reiche Haar der Geliebten hin. In seinem Augen ist jubelndste Siegesfreude, strahlendstes Glück, als er jetzt sagt:

„Bist Du zufrieden mit dem Tausch, mit dem einen goldenen Reif, den ich Dir jetzt geben darf, statt der beiden anderen, die damals in Stranddorf verschwanden und die Jarotzki dann wiederfand …? – Sag, bist Du zufrieden?“

Sie nickt ihm nur zu, drückt nur inniger, fester seine Rechte. Aber um ihren Mund liegt jetzt ein Lächeln, ein so sonniges, zuversichtliches Lächeln. Und das Lächeln ist ihm Antwort genug …

In demselben Augenblick hat sich Lisa weit über das Geländer des Balkons gebeugt, ganz weit … Unten geht Jarotzki, schwenkt übermütig den Hut zum Gruß. Und halblaut ruft sie ihm zu – nur wenige Worte, die ihm aber alles sagen, alles –: „Bix hat gesiegt – Doppelverlobung!“



  1. Vorlage: Röte des Röte
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Bix. In: Von Nah und Fern. Illustriertes aktuelles Unterhaltungsblatt für Jedermann. Beilage zur Lienzer Zeitung. Heft 27 S.1–4, Heft 28 S.2–5, Heft 29 S.2–5, Heft 30 S.1–5, Heft 31 S.6. Georg E. Nagel in Berlin-Schöneberg, Lienz 1913, Seite Nr.31,S.6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bix_0019.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)