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14. Über das griechische Mönchtum
1898

Man kann nicht sagen, daß das griechische Mönchtum von den Kirchenhistorikern – um von den Profanhistorikern zu schweigen – sonderlich freundlich behandelt werde. Man pflegt, nachdem seine Geschichte bis auf Basileios (Bischof von Käsarea in Kappadokien, † 379) erzählt ist, nur noch anläßlich der theologischen Streitigkeiten seine Tätigkeit hervorzuheben und im übrigen die weltverlorenen Sonderlinge ihrer „Ruhe“ zu überlassen. Roher Fanatismus oder tatenloses Träumen erscheinen als die charakteristischen Züge dieses Kreises. – Unwillkürlich mißt man dabei das griechische Mönchtum am abendländischen, an dessen großartigen Leistungen für Welt und Kirche. Wir brauchen ja nicht erst in die Vergangenheit zurückzugreifen und uns der Kulturarbeit der mittelalterlichen Orden zu erinnern, um zu sehen, welche Rolle das Mönchtum in der Welt spielen kann, wir haben heute noch in der katholischen Kirche ein Bild davon vor Augen. Wenn man erwägt, was das Mönchtum dort bedeutet, wie es den schroffen Gegensatz zwischen Priester und Laie mildert, selbständigem religiösen Streben eine Zuflucht gewährt, ohne daß es dem Ganzen gefährlich wird, wie es über die offiziellen Organe der Kirche eine stillschweigende Kontrolle ausübt und die oberste Regierung in direkter Fühlung mit den großen Massen erhält, wenn man sieht, mit welchem Eifer es sich den großen Aufgaben der Kirche auf dem Gebiete der inneren und äußeren Mission widmet, wie es im Volke den Sinn für die allgemeinen Interessen und das stolze Bewußtsein, einem großen Ganzen anzugehören, zu wecken versteht, – wenn man dies alles sich vergegenwärtigt, so erscheint das Mönchtum als einer der wichtigsten Faktoren in jenem kunstvollen kirchenpolitischen System, und ein großer Teil der Erfolge des Katholizismus ist sein Verdienst. Solche Großtaten auf dem Gebiet der Kultur und der Kirchenpolitik hat das griechische Mönchtum nicht aufzuweisen. Aber messen wir nicht mit falschem Maßstab, wenn wir dies vom Mönchtum fordern? Das Mönchtum ist von Haus aus eine rein religiöse Bewegung, darf man seine Bedeutung darnach schätzen, was es für weltliche Kultur und für das Kirchenregiment leistet? Sind nicht dadurch, daß das Mönchtum im Abendland diesen Zwecken dienstbar wurde, auch Kräfte gelähmt und edle Gedanken unterdrückt worden? Man erinnere sich doch, wie im Abendland jeder Orden nach einer kurzen Zeit jugendfrischer Begeisterung unaufhaltsam verweltlicht, wie unter diesem Eindruck in immer neuen Anläufen neue Gründungen unternommen werden, bei denen sich dasselbe Gesetz wiederholt; man denke an den heiligen Franziskus und an die Geschichte seines Ordens! Wenn man gerecht urteilen und die Verdienste des Mönchtums da suchen will, wo sie in

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Karl Holl: Über das griechische Mönchtum. J. C. B. Mohr, Tübingen 1928, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Band_II_-_Der_Osten_(Holl)_270.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)